Die Lange Erde: Roman (German Edition)
fertig war, saß Sally im Wohnzimmer auf der Couch. Sie hatte die Knie umschlungen, als wollte sie sich möglichst klein machen. »Wie wär’s mit einem Kaffee?«, fragte er.
Sie zuckte die Achseln. Er goss Kaffee aus der Kanne ein.
Der Abend brach über die Welten unter ihnen herein, die Deckenbeleuchtung schaltete sich an. Das Wohnzimmer wurde in honiggelbes Licht getaucht, eine willkommene Verbesserung.
»Am liebsten sorge ich mich um kleine Dinge«, sagte Joshua zögernd. »Dinge, die allein dadurch besser werden, dass man sich um sie kümmert. Zum Beispiel Muschelsuppe kochen oder dir einen Kaffee machen. Die größeren Sachen … also … die muss man wohl angehen, wenn sie sich einem in den Weg stellen.«
Sally lächelte schmallippig. »Weißt du was, Joshua, für einen asozialen Spinner bist du manchmal beinahe feinfühlig. Was mich am allermeisten nervt, ist, dass ich mich ausgerechnet an euch beide um Hilfe wenden muss. Na ja, eigentlich an überhaupt jemanden. Ich bin jahrelang sehr gut allein klargekommen. Vermutlich kann ich dieses Problem nicht allein lösen, aber ich gebe es nun mal nicht gerne zu. Und noch etwas, Joshua.« Sie musterte ihn durchdringend. »Du bist anders. Streite es nicht ab. Der Wechsler mit den Superkräften. Der König der wilden Langen Erde. Ich habe so ein Gefühl, als würdest du in diesem ganzen Durcheinander eine größere Rolle spielen. Das ist der eigentliche Grund, weshalb ich mich gerade an dich gewendet habe.«
Er fühlte sich auf einmal sehr unwohl, beinahe hintergangen. »Ich will aber keine größere Rolle spielen … bei nichts.«
»Gewöhn dich dran. Jedenfalls ist das mein Problem, verstehst du? Als ich klein war, war die ganze Lange Erde mein Spielplatz, sie hat mir allein gehört. Ich bin eifersüchtig. Weil das alles womöglich eher dir als mir gehört.«
Er versuchte, ihre Worte zu begreifen. »Sally, vielleicht sind du und ich …«
Genau in diesem Augenblick, also genau im falschen Moment, ging die Tür auf, und Lobsang kam mit einem Lächeln im Gesicht hereingeschlendert. »Aah! Muschelsuppe! Mit Schinken, hervorragend!«
Sally und Joshua wechselten einen Blick, vertagten ihre Unterhaltung und drehten sich voneinander weg.
Sally konzentrierte sich auf Lobsang. »Wen haben wir denn da? Den Androiden, der gerne isst. Wieder mal Muschelsuppe futtern?«
Lobsang setzte sich und legte ziemlich affektiert ein Bein über das andere. »Aber selbstverständlich. Warum auch nicht? Das Gel-Substrat, das meine Intelligenz unterstützt, benötigt organische Komponenten. Aus welchem Grund sollten diese Komponenten nicht aus der allerfeinsten Cuisine stammen?«
Sally sah zu Joshua hinüber. »Aber wenn er isst, dann muss er doch irgendwann auch mal …«
Lobsang lächelte. »Das bisschen Abfall, das ich produziere, wird als sorgsam verdichteter Kompost in biologisch abbaubarer Verpackung ausgeschieden. Was ist denn so lustig daran? Du hast doch gefragt, Sally. Zumindest stellt dein Spott eine willkommene Abwechslung zu deiner sonst üblichen Verachtung meiner Person gegenüber dar. Aber jetzt müssen wir arbeiten. Ich brauche dich, um diese Wesen hier zu identifizieren.«
Hinter ihm glitt eine Wandverkleidung nach unten und enthüllte eine Leinwand, die sofort flackernd zum Leben erwachte. Joshua blickte auf einen ihm nur allzu bekannten Zweibeiner, ein dürres Geschöpf von schmutzig-gelbbrauner Farbe. Es hielt einen Stock wie eine Keule in der Hand und starrte seine unsichtbaren Beobachter finster an. Joshua wusste nur zu genau, was das war.
»Wir nennen sie Elfen«, sagte Sally.
»Ich weiß«, sagte Lobsang.
»Ich glaube, in einigen Kolonien werden sie ›die Grauen‹ genannt, nach der alten UFO-Mythologie. Man trifft sie in den Megas überall an, manchmal auch in den näheren Welten. Normalerweise verhalten sie sich dem Menschen gegenüber eher misstrauisch und zurückhaltend, aber wenn man von den anderen getrennt oder verwundet wird, lassen sie es manchmal darauf ankommen. Sie sind sehr schnelle, sehr kräftige und hochintelligente Jäger, die bei der Jagd auch das Wechseln einsetzen.«
»Ich weiß«, sagte Joshua. »Wir sind ihnen bereits begegnet.«
»Elfen. Kein schlechter Name, wenn man genauer darüber nachdenkt. Elfen sind nicht immer niedliche kleine Kreaturen gewesen. In nordeuropäischen Sagen werden sie durchaus als groß und kräftig und seelenlos dargestellt. Ein gemeiner Name. Ich kann damit leben. Jedenfalls haben sie sich so viel
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