Die Lange Erde: Roman (German Edition)
ganzer, handgewobener Sack voll. Er konzentrierte sich voll und ganz auf das Messer und die Kartoffeln. Eine Übersprungshandlung, das wusste er selbst, aber trotzdem tröstlich, zumal angesichts dessen, was er übersprungen hatte.
Sally kam ihm nach und stellte sich in den Durchgang zum dahinterliegenden Wohnzimmer. »Du beobachtest mich ziemlich viel, finde ich.«
Es war eigentlich keine Frage, weshalb er mit etwas antwortete, das eigentlich keine Antwort war. »Ich beobachte jeden. Es ist immer von Vorteil, wenn man weiß, was andere denken.«
»Und was denke ich jetzt?«
»Du hast Angst. Diese Rechtecke haben dich wahrscheinlich genauso mitgenommen wie mich und Lobsang, und obendrein nimmt dich die Troll-Migration so richtig mit – mehr als ihn oder mich, da du die Trolle besser kennst als wir.« Er schnitt die Kartoffel klein und bückte sich, um die nächste aus dem Sack zu holen. Den Sack würde er nicht wegwerfen. Jemand in Happy Landings hatte bestimmt Stunden mit seiner Herstellung zugebracht. »Ich mache Muschelsuppe. Wir sollten die Muscheln nicht zu lange aufheben. Auch ein hübsches Geschenk aus Happy Landings …«
»Hör schon auf, Joshua. Hör jetzt mit den verdammten Kartoffeln auf. Sprich mit mir.«
Joshua spülte das Messer ab und legte es sorgfältig an seinen Platz. Auf seine Werkzeuge sollte man immer sehr genau achten. Dann drehte er sich um.
Sally starrte ihn finster an. »Wie kommst du darauf, dass du mich auch nur annähernd kennst? Kennst du überhaupt irgendjemanden?«
»Ein paar Leute schon. Eine Polizistin. Meine Freunde im Heim. Und ein paar von den Kindern, denen ich am Wechseltag geholfen habe und die später mit mir in Verbindung geblieben sind. Und die Nonnen natürlich. Es ist sehr nützlich, über Nonnen Bescheid zu wissen, wenn man auf so engem Raum mit ihnen zusammenlebt; sie können manchmal ziemlich launisch sein und …«
»Es reicht! Ich will nicht ständig irgendwelche Geschichten von deinen verdammten Nonnen hören«, fiel sie ihm ins Wort.
Er blieb ganz ruhig und widerstand dem Impuls, sich wieder dem Kochen zuzuwenden. Er spürte, dass dieser Moment gerade sehr wichtig war. »Hör mal, ich weiß, dass ich kein geselliger Mensch bin. Und Schwester Agnes würde mir für einen solchen Spruch glatt den Hintern versohlen. Aber ich weiß auch, dass es für die Gesellschaft anderer Menschen keinen Ersatz gibt. Sieh dir die Trolle an. Ja, die Trolle sind freundlich und hilfsbereit, und ich wünsche ihnen wirklich nichts Böses. Sie sind glücklich, und darum könnte ich sie beneiden. Aber sie bauen nichts, sie stellen nichts her, sie nehmen die Welt einfach so, wie sie ist. Der Mensch nimmt die Welt, wie sie ist, und fängt sofort damit an, sie zu verändern. Genau das macht ihn interessant. In all diesen Welten, über die wir dahinrauschen, ist das Wertvollste, was wir finden können, ein anderes menschliches Wesen. Jedenfalls glaube ich das. Und wenn wir tatsächlich die einzigen vernunftbegabten Wesen in der Langen Erde, im ganzen Universum sind – tja, dann ist das ziemlich traurig und ziemlich beängstigend. Momentan sehe ich ein anderes menschliches Wesen. Das bist du, und du bist nicht glücklich, und ich würde dir gerne helfen, wenn ich darf. Du musst nichts sagen. Lass dir Zeit.« Er lächelte. »Die Muschelsuppe ist sowieso erst in ein paar Stunden fertig. Ach ja, und heute Abend gibt’s im Bordkino Abgerechnet wird zum Schluss. Eine zartbittere Saga aus den letzten Tagen des Wilden Westens, mit Jason Robards in der Hauptrolle. Hat jedenfalls Lobsang so angekündigt.«
Von allen Verschrobenheiten machte sich Sally am meisten über Lobsangs und Joshuas Gewohnheit lustig, sich im Bauch der Mark Twain alte Filme anzusehen. (Joshua war froh, dass sie noch nicht an Bord gewesen war, als sie sich beide zum Filmereignis Blues Brothers passend kostümiert hatten.) Diesmal blieb ihre erwartete Reaktion aus. Nur das metronomische Klicken und Surren der verborgenen Mechanismen der Kombüse störte die Stille. Sie waren zwei beschädigte Menschen, dachte Joshua, die gemeinsam gestrandet waren.
Schließlich widmete sich Joshua wieder seiner Arbeit und machte die Muschelsuppe fertig, gab noch Schinken und Gewürze hinzu. Er kochte gerne. Wenn man kochte, wurde man für seine Sorgfalt immer belohnt; wenn man alles richtig machte, lief es gut. Es war eine verlässliche Tätigkeit, und er mochte alles Verlässliche. Er wünschte nur, er hätte etwas Sellerie.
Als er
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