Die Lange Erde: Roman (German Edition)
Kongressgutachten im Nacken sitzen.
Außerdem hatte ihm die Vorstellung, unerreichbar zu sein, schon immer gut gefallen.
Trotz Janssons Versprechungen vor all den Jahren waren die Bösen ein oder zwei Mal an ihn herangekommen. Einmal, in der ganzen Aufregung kurz nach dem Wechseltag, hatten sich Männer mit Dienstmarken Zutritt zum Heim verschafft und versucht, ihn einzuschläfern, damit sie ihn mitnehmen konnten; Schwester Agnes hatte einen von ihnen mit einem Montiereisen zu Boden gestreckt, und dann war rasch die Polizei alarmiert worden. Das hatte zur Folge, dass Officer Jansson auftauchte, und dann mischte sich der Bürgermeister ein, und es stellte sich heraus, dass eines der Kinder, denen Joshua am Wechseltag geholfen hatte, sein Sohn war, und damit war die Sache erledigt. Die drei schwarzen, nicht näher gekennzeichneten Autos hatten die Stadt wieder verlassen … Damals wurde die Regel aufgestellt, dass jeder, der mit Joshua sprechen wollte, zuerst mit Officer Monica Jansson sprechen musste. Joshua war nicht das Problem, hatte der Bürgermeister gesagt. Das Problem waren die Straftaten und die Gefängnisausbrüche und dass die Welt nicht mehr sicher war. Joshua sei vielleicht ein bisschen eigenartig, erklärte man dem Stadtrat, aber zugleich sehr begabt, außerdem habe er, wie Officer Jansson bezeugen konnte, der Polizei von Madison schon große Dienste geleistet. So jedenfalls lautete die offizielle Sicht der Dinge.
Trotzdem war das alles kein Trost für Joshua, der es nicht leiden konnte, wenn er beobachtet wurde, und auch nicht mochte, dass immer mehr Menschen wussten, dass er anders war, ob sie ihn nun für ein Problem hielten oder nicht.
In den letzten Jahren war Joshua allein gewechselt. Er hatte sich immer weiter in die Lange Erde vorgewagt, weit über die Robinson-Crusoe-Palisaden hinaus, die er als Teenager errichtet hatte, bis in Welten, die so abgelegen waren, dass er sich keine Sorgen um die Durchgeknallten machen musste, nicht einmal um die Durchgeknallten mit Dienstmarken und Haftbefehlen. Und wenn sie tatsächlich kamen, wechselte er einfach weg; während sie noch damit beschäftigt waren, sich zu übergeben, war Joshua schon hundert Welten weiter. Manchmal wechselte er sogar zu ihnen zurück und band ihnen die Schnürsenkel zusammen, während sie noch würgten und reiherten. Ein bisschen Spaß brauchte schließlich jeder. Die Ausflüge wurden immer länger, führten ihn immer weiter weg. Er nannte sie seine Auszeiten. Es war eine Möglichkeit, den Menschenhorden zu entkommen – und dem seltsamen Druck im Kopf, den er immer verspürte, wenn er wieder auf der Datum-Erde war. In letzter Zeit verspürte er ihn sogar schon in den Nahen Erden. Ein Druck, der ihn daran hinderte, der Stille zu lauschen.
Er war also eigenartig. Die Schwestern sagten, die ganze Welt würde immer eigenartiger. Schwester Georgina hatte ihm in ihrem höflichen britischen Akzent erklärt: »Joshua, du bist der Menschheit wahrscheinlich einfach nur ein paar Schritte voraus. Ich stelle mir vor, dass es dem ersten Homo sapiens ebenso ergangen ist wie dir, wenn du dir ansiehst, wie wir anderen mit unseren Wechsel-Kistchen hantieren und uns ständig übergeben müssen. So wie sich H. sap. gewundert hat, wieso die anderen Jungs so lange brauchen, um zwei Silben aneinanderzureihen.« Dabei war sich Joshua nicht einmal sicher, ob er überhaupt anders sein wollte, selbst wenn er den anderen überlegen war.
Trotzdem mochte er Schwester Georgina fast so sehr wie Schwester Agnes. Schwester Georgina las ihm Keats und Wordsworth und Ralph Waldo Emerson vor. Schwester Georgina hatte in Cambridge studiert, aber, wie sie selbst sagte, »Nicht-das-Massachusetts-Cambridge-sondern-das-echte-in-England.« Manchmal kam es Joshua vor, als wären die Nonnen, die das Heim unterhielten, nicht so wie die Nonnen im Fernsehen. Als er Schwester Georgina danach gefragt hatte, hatte sie gelacht und gesagt: »Vielleicht liegt es daran, dass wir ein bisschen so sind wie du, Joshua. Wir sind hier, weil wir nirgendwo anders hinpassen.« Er wusste, dass er sie alle vermissen würde, wenn er die Reise mit Lobsang antrat.
Irgendwie hatte sich der Entschluss ganz von selbst gefasst.
12
E ine Woche nach seinem Gespräch bei transEarth brachte Schwester Agnes Joshua auf dem Rücksitz ihrer Harley – eine höchst seltene Ehre! – zum Regionalflugplatz Dane County. Er würde nie vergessen, wie sie bei der Ankunft sagte, Gott habe gewollt, dass er diesen
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