Die Lange Erde: Roman (German Edition)
rasch, dass Madison West 1 eine allzu plumpe Kopie der Datum war, ein Durcheinander hastig errichteter Erweiterungen von Eigenheimen und Bürobauten. Die Greens hatten zunächst eine kleine Hütte auf West 2 gemietet, aber dort kamen sie sich schon bald wie in einem Vergnügungspark vor. Alles war überorganisiert, ihrem Zuhause viel zu ähnlich. Außerdem gehörte das gesamte Land bereits jemand anderem.
Dann hatten sie von dem Projekt zur Entwicklung von Madison West 5 erfahren, wo man ganz von vorne anfangen wollte, mit Hightech und grundsätzlich ökologisch orientiert; es sollte mehr als bloß eine weitere Stadt wie viele andere werden. Die Greens waren begeistert gewesen und hatten einen Großteil ihrer Ersparnisse investiert, um von Anfang an dabei zu sein. Jack und Tilda hatten viel zum endgültigen Entwurf beigetragen, er als Softwareentwickler in verschiedenen Bereichen der intelligenten Stadtentwicklung, sie als Dozentin für Kulturgeschichte bei der Ausgestaltung neuer Formen von Kommunalverwaltung und Gemeindeforen. Leider verdienten sie vor Ort nicht genug zum Leben und mussten beide immer wieder zur Datum und ihren normalen Jobs zurück.
»Das hier ist unsere Stadt. Aber sie ist nur fast perfekt? «, fragte er.
»Hm. Wir leben hier in einem Traum, aber es ist der Traum eines anderen. Ich will meinen eigenen Traum.«
»Aber dein Sohn, der Phobiker …«
»Nicht dieses Wort, bitte.«
»Aber so werden sie nun mal genannt, Tilda. Rod wird nie in der Lage sein, an unserem Traum teilzuhaben.«
Sie trank einen Schluck Kaffee. »Wir müssen darüber nachdenken, was für uns das Beste ist. Auch für Katie und Helen, natürlich auch für Rod, aber wir dürfen uns davon nicht lähmen lassen. Es ist eine einzigartige Chance, Jack. Jetzt, und vielleicht nur jetzt, gibt die Regierung im Rahmen der sogenannten Ägide und der neuen Besiedlungsgesetze das Land in den Wechsel-Amerikas praktisch kostenlos weg. Dieses Fenster wird nicht ewig offen bleiben.«
»Das ist doch alles Ideologie«, knurrte Jack. The New Frontier hieß das Programm, abgekupfert von einem alten Wahlkampfslogan John F. Kennedys. Die Bundesregierung wollte die Emigration von Amerikanern und auch anderen Menschen in die neuen Welten fördern, unter der einzigen Prämisse, dass man sich unter der amerikanischen Schutzherrschaft dem amerikanischen Gesetz verpflichtete und amerikanische Steuern zahlte – mit anderen Worten: dass man Amerikaner war. »Die Regierung will doch nur, dass alle diese Wechselversionen der USA von uns kolonisiert werden, ehe irgendwelche anderen Leute dort hinziehen.«
»Was ist denn so falsch daran? Der gleiche Impuls hat im 19. Jahrhundert die Expansion nach Westen vorangetrieben. Natürlich ist es eine interessante intellektuelle Frage, weshalb die meisten Amerikaner sich dafür entscheiden, nach Westen zu gehen, obwohl es letztendlich bloß eine willkürliche Bezeichnung ist, ohne Bezug zu einem geografischen Westen. Umgekehrt habe ich gehört, dass die meisten chinesischen Emigranten sich nach Osten aufmachen …«
»Herrje, allein die Reise dauert mehrere Monate. Und das alles nur, um die Kinder in irgendeiner unzivilisierten Wildnis auszusetzen. Und was soll ich als Softwareentwickler dort draußen machen? Oder, wo wir gerade dabei sind, du als Dozentin für Kulturgeschichte?«
Sie lächelte ihn liebevoll an. Es war zum Auswachsen! Er sah genau, dass sie ihn nicht im Mindesten ernst nahm. »Alles, was wir wissen müssen, werden wir dort lernen.« Sie stellte ihre Kaffeetasse ab und legte die Arme um ihn. »Ich bin der festen Meinung, dass wir diesen Schritt tun müssen, Jack. Es ist unsere Chance. Die unserer Generation. Die Chance unserer Kinder.«
Unserer Kinder, dachte er. Bis auf den armen Rod. Da musste er sich doch tatsächlich anhören, wie seine Frau, einer der intelligentesten Menschen, denen er je begegnet war, eine Frau, die hinsichtlich der Zukunft Amerikas und der ganzen Menschheit den Kopf voller Idealismus hatte, ernsthaft darüber nachdachte, ihren eigenen Sohn zu verlassen. Er legte die Wange an ihr ergrauendes Haar und fragte sich, ob er sie je verstehen würde.
15
T räume von der Langen Erde, überall auf der alten Welt. Einige Träume waren neu und gleichzeitig sehr, sehr alt …
Die Jungs saßen nicht weit vom Auto entfernt tief im Busch, tranken Bier, diskutierten über die sich verändernde Welt und über die Wechsel-Kästchen, die sie zusammengebaut hatten und die nun im roten
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