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Die langen Schatten der Erleuchtung

Die langen Schatten der Erleuchtung

Titel: Die langen Schatten der Erleuchtung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirti Peter Michel , Klaus-Jürgen Leimann
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Marliiiesss!“, rief eine fröhliche Frauenstimme, deren Besitzerin Sekunden später in der Tür stand. Eine große, schlanke Frau, vielleicht nur einen halben Kopf kleiner als Jojo. Ihre Haare, die sie vergeblich in einem Pferdeschwanz zu bändigen versuchte, waren kastanienbraun. Auch sie konnte den Blick nicht von Jojo abwenden. Der hatte inzwischen aus seinem Brustbeutel den Brief von Hubertus gezogen und überreichte ihn Marlies. Marlies studierte das Schreiben, dann gab sie es an Jutta weiter, wobei sie gleichzeitig Jojo und Hanif aufforderte: „Kommt rein, Jungs! Geht am besten gleich geradeaus in die Küche!“
    In der Küche nahmen sie um den langen Esstisch herum Platz, und Marlies setzte Tee auf. „Es ist ja unglaublich, ihr habt Hubertus und Mathilda in Indien getroffen? Einfach unglaubliiich!!“, plapperte Jutta los. Hanif nickte. „Es gibt da nur ein kleines Problem“, fuhr Jutta fort, „da die beiden Räume von Hubertus und Mathilda oben leer standen, bin ich kurz entschlossen dort eingezogen. Ich habe mich nämlich Hals über Kopf von meinem Kerl getrennt. Nun kann ich nicht gleich wieder ausziehen!“
    „Wir beide brauchen nur einen Raum!“, meldete sich jetzt das erste Mal Jojo zu Wort.
    Jutta blickte ihn entzückt an. „Natürlich ist im Doppelbett noch ein Platz frei für einen von euch!“, ergänzte sie, wobei sie keinen Blick von Jojo ließ.
    „Wir sind es gewohnt, auf dem Boden zu schlafen! Wir benötigen kein Bett!“, erklärte diesmal Hanif. „Alles, was wir brauchen, ist ein Platz zum Schlafen auf dem Boden! Mehr nicht!“
    „Das können wir auf keinen Fall zulassen“, mischte sich jetzt Marlies ein. „Hubertus und Mathilda würden uns den Kopf abreißen! Den beiden gehört schließlich das Haus, und wir sind hier nur die Untermieter!“ Mit diesen Worten schenkte sie den Tee ein. „Aber der Fummel von den beiden, Jutta, ist doch wirklich echt scharf, ey?“
    „Unglaublich“, bestätigte Jutta, „eigentlich das Richtige für die Party bei Till in der Marktstraße heute Abend!“ Sie langte dabei mit der rechten Hand über den Tisch und prüfte den Stoff von Jojos Pyjama mit den Fingern.
    „Wenn ihr beiden ausgetrunken habt, zeigt euch Jutta euer neues Zuhause. Dann lege ich euch frisches Zeug raus, und ihr könnt erst einmal duschen. Schuhe haben wir leider keine für euch. Aber das ist auch kein Problem. Hubertus hat in seinem Brief geschrieben, dass wir euch aus seinem Schreibtisch seine Bankkarte geben sollen. Damit könnt ihr euch Schuhe kaufen!“
    „Das erledige ich“, warf Jutta sofort ein, „ich zeige euch den Geldautomat, und dann gehen wir gemeinsam Schuhe kaufen. Du musst ja sowieso für deinen Harald noch die Hemden bügeln, Marlies!“
    Marlies nickte resigniert und dachte an ihren Harald, den sie vor zehn Jahren geheiratet hatte. Er war zwanzig Jahre älter als sie. Als sie sich kennen lernten und Marlies mit ihm noch durch die Discos zog und die Nächte am Wochenende durchtanzte, war Harald 45 Jahre alt. Er gab Marlies damals die Sicherheit und Geborgenheit, die sie bei Männern ihres Alters so vermisste. Doch in der Ehe hatte sich Harald bald zu einem behäbigen Langeweiler gewandelt, dem nichts wichtiger war als sein Sportkanal im Fernsehen. Und der darauf bestand, jeden Morgen mit einem frisch gebügelten Oberhemd in der Firma zu erscheinen. Harald bediente den Kopierer in der Hausdruckerei des Versicherungskonzerns „ Deutsche Assekuranz “. Ursprünglich hatte Harald als Fahrer in der Poststelle der Versicherung begonnen. Doch nach mehreren Ermahnungen wegen Trunkenheit im Dienst, kam es dann sogar zu einer schriftlichen Abmahnung. Sie war unumgänglich gewesen, da Harald beim Einparken des Firmenwagens auf dem Hof den Mercedes des Personalchefs zu Schrott manövriert hatte. Als man hinzu eilte, stolperte Harald besoffen aus dem Führerhaus und versetzte dem Mercedes in Gegenwart seines fassungslosen Besitzers noch einen Tritt. Da man wenig Zutrauen zu Haralds Beteuerungen hatte, in Zukunft keinen Tropfen mehr anzurühren, schanzte man ihm als letzten Versuch den Posten am Kopierer zu, eine Arbeit, die bis dahin von den Buchbinderinnen nebenbei erledigt wurde. Harald gab von diesem Zeitpunkt seinen Beruf mit „ Maschinenführer “ an. Zum Erstaunen aller blieb er von nun an auf der Arbeit stets nüchtern und trank auch auf Feiern im Betrieb nur Apfelsaft. Er bezeichnete die Zeit vor seiner betrieblichen Abstinenz gerne scherzhaft als die

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