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Die langen Schatten der Erleuchtung

Die langen Schatten der Erleuchtung

Titel: Die langen Schatten der Erleuchtung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirti Peter Michel , Klaus-Jürgen Leimann
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vorstellt. Wunschbilder sind wie Luftspiegelungen – wenn du danach greifst, greifst du ins Leere..... Verpassen wir den gegenwärtigen Moment, dann verpassen wir das Leben!“
     
    „Ach, Jojochen! Ich hatte den Eindruck, dir hat es auch immer sehr gut gefallen! Jedenfalls bist du immer prächtig in Form! Und jetzt faselst du schon wieder wie ein Student im ersten Semester Philosophie! Dein indisches Guru-Gequatsche geht mir auf den Senkel! Diese Gehirnwichserei! Warum sagst du nicht einfach, die Nächte mit dir sind toll. Und ich kann den Abend kaum erwarten, Jutta! Das ist doch etwas sehr Konkretes! Ich habe jedenfalls bei dir nie ins Leere gegriffen! Dein Gerede, Jojo, - das sind die Luftspiegelungen und das Leere ! - Oder was meinst du, Hanif? Wann ist dein nächstes Heimspiel?“
     
    „Jetzt, am Wochenende!“, platzte es aus Hanif heraus, noch bevor er überlegen konnte. Doch ehe er sich genauer hätte erklären müssen, wurde es auf einmal unruhig unter den Wartenden. Die Frauen in den ersten Reihen hoben und senkten ihre Köpfe wie Schwäne, die ihren Wärter mit dem Futter entdeckt haben.
     
    Jutta gab noch hastig den Schlachtplan aus: „Wir gehen als erstes in die Herrenabteilung. Badeanzüge bekomme ich später immer noch! Wir müssen also zur Rolltreppe, die ist da vorne links. Jojo, du solltest vorweg gehen und den Keil bilden, wir folgen dir dicht hinterher! Traust du dir das zu? Jetzt?“
     
    „Ich werde es versuchen!“
     
    Dann wurde die riesige Drehtür von einem verängstigten Pförtner entriegelt, und wie bei einem Dammbruch ergoss sich die Flutwelle der stämmigen Frauen mit den Kopftüchern in das Kaufhaus und sog die hinteren Reihen der Wartenden wie einen Strudel mit sich. Jojo versuchte, majestätisch zur Rolltreppe zu schreiten. Er wurde auf halber Strecke von den nachstürmenden Reihen überrollt und strauchelte in ein Sonderangebot mit Damenhandtaschen. Kurz entschlossen übernahm Jutta die Führung und schlug eine Bresche für die Mitglieder der WG zur Rolltreppe.
     
    Hanif jedoch wurde von den beleibten Frauen in den langen Mänteln eingeklemmt und wie von einem Lavastrom zu den Ständen mit der Damenunterwäsche mitgerissen. Er ging rettungslos im Gewimmel unter. Nur noch für Augenblicke sah man seinen gelben Pullover im Gedränge wie eine Boje im Seegang aufleuchten, ehe sie vom Meer der entfesselten Gier verschlungen wurde.
     
    Eine halbe Stunde später war eine zersauste Marlies im Besitz mehrerer Hemden, drei dunkler Stoffhosen mit scharfen Bügelfalten und einer Bluse für sich selbst. Jojo hielt abgekämpft einen Stapel T-Shirts der Größe XXL, Socken, Jeans, Unterhosen und Pullover, als schritte er zur Siegerehrung im Freistilringen. Vor ihm lag ein Haufen der gleichen Kleidungsstücke in der höchsten Kindergröße - augenscheinlich für Hanif. Gary gesellte sich erschöpft, zwei helle Jacken über den Arm gelegt, zu ihnen. Sein altes Poloshirt verfügte nur noch über einen Ärmel. Nun warteten sie nur noch auf Jutta. Gary entdeckte sie vor der Umkleidekabine mit einem schwarz gelockten Verkäufer in einem italienischen Maßjackett, den sie um einen Kopf überragte. Jutta trug einen äußerst knappen, schwarzweiß gepunkteten Bikini und flanierte vor dem Verkäufer wie auf einem Laufsteg auf und ab. Der flotte Verkäufer trug ihre Garderobe über dem Arm und hielt in der freien Hand ihre Schuhe. Er umschwärmte sie theatralisch wie ein Operettentenor. Beide hatten die Welt um sich herum vergessen, und Gary musste mehrmals lautstark auf sich aufmerksam machen. Nur zögernd trennte sich Jutta von ihrem Verehrer und zog sich bei offener Kabine um. Der Verkäufer legte ihr dabei seinen Zeigefinger auf das Oberteil des Bikinis und meinte: „Über diesen Punkt müssen wir noch sprechen, bella rossa!“
     
    Juttas Pferdeschwanz hatte sich zu einer Flut roter Haare aufgelöst, als sie zur Rolltreppe kam. Sie drehte sich noch mehrmals um und winkte dem Verkäufer zu, der ihr beidhändig Kusshände zuwarf.
     
    „Hanif wird bestimmt unten warten! Oder er ist wieder nach Hause gegangen!“, meinte Marlies. „Lasst uns zahlen und gehen!“
     
    Als sie wie Maulesel bepackt mit ihren Tüten dem Ausgang zustrebten, hörten sie einen Krankenwagen mit laufender Sirene vorfahren. Wenig später trugen zwei Sanitäter in weißen Kitteln eine Bahre aus der Damenabteilung an ihnen vorüber. Auf der Trage lag der angeschnallte Hanif. Er blutete aus einer Wunde am

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