Die langen Schatten der Erleuchtung
der einst einen Elektriker, einen zufälligen Bekannten des Swamis, engagierte hätte, um bei öffentlichen Auftritten einen Heiligenschein ausleuchten zu lassen.
Bhogananda Maharaj verhielt sich sehr widersprüchli ch – manchmal ausgesprochen liebenswürdig, fast wie eine Lichtgestalt. Dann schlug seine Stimmung urplötzlich um, und er nahm die hasserfüllten Züge eines Dämons an. Seine engen Schüler behaupteten, dass sei seine Methode, um negatives Karma zu bereinigen. Er selbst nannte sie stolz die «Dampfkochtopf-Methode». Daher auch die strenge Abgeschiedenheit des Ashrams. Nach einiger Zeit entsteht ordentlich viel Druck, bis der Deckel abhebt und die aufgestaute Energie in Form von bislang unbewussten Eigenschaften wie Gier, Neid, Eifersucht, Stolz, Zorn und Hassgefühlen explodiert. Dies sollte man sich einfach nur anschauen, und die Reue und die Scham darüber seien dann wie ein reinigendes Feuer. Das klang einleuchtend, aber ich war mir nicht ganz sicher, ob ich nach dieser Methode von ihm lernen wollte.
Swami Bhogananda schien einiges über Yoga zu wissen: In seiner Jugend war er als der beste Hatha Yogi der Gegend bekannt, der über 500 Yogastellungen gemeistert hatte, über 100 Pranayama-Methoden und die wichtigen Reinigungsübungen und Verschlusstechniken zum Lenken der Energien im Kundalini Yoga beherrschte. Die zahllosen gerahmten Photos von akrobatisch anmutenden Yoga-Asanas, die jeden freien Fleck an den Wänden der Meditationshalle bedecken, machten anfangs großen Eindruck auf mich.
Ab und an plagten mich dann wieder ketzerische Gedanken während meines Aufenthalts, die der «Heiligkeit» dieses Ortes nicht angemessen schienen: Hatte der Swami ein zu gesund anmutendes Selbstbewusstsein oder verbarg sich hinter der anspruchsvollen Zurschaustellung das tief verdrängte Bewusstsein einer Minderwertigkeit? Andauernd musste ich an einen Neureichen denken, der allzu protzig das Goldkettchen trug. Sobald er auftauchte, fingen meine Nerven an zu vibrieren. Es war eine Kraft, die er körperlich ausstrahlte – ich wusste nur nicht genau, ob ich sie als angenehm oder störend empfinden sollte. Das musste ich ihm lassen: Er verstand es, seine Auftritte zu inszenieren und eine Atmosphäre hoheitsvoller Distanz zu schaffen!“
Hubertus leerte seinen Becher: „Fühlst du in meiner Gegenwart auch deine Nerven vibrieren? Schließlich bin ich ja deiner Meinung nach Meister Jojo!“
Einen Moment lang schaute Mark ganz irritiert, als ob er gerade aus einem anderen Film herausgerissen worden war, und schüttelte den Kopf: „Nein, natürlich nicht. Aber wenn ich den Swami etwas fragte, murmelte er nur eine knappe Antwort, drehte sich auf dem Fuße um und verschwand, als ob er schnell das Weite suchte. Später am Abend, wenn wir in der Meditationshalle saßen und er einige poetische Kostbarkeiten aus den heiligen Schriften kommentierte, rügte er mich vor allen anderen, dass ich ständig mit den Gedanken woanders und verschlafen sei. Da hatte er nicht ganz Unrecht, aber deswegen war ich ja im Ashram, so glaubte ich zumindest.
«Mark beschäftigt sich zu sehr mit seinem persönlichen Wohlergehen, er denkt nur übers Essen nach und wie er möglichst schnell wieder flüchten kann!», erklärte er und für einen Moment huschte etwas Giftiges über seine entspannt lächelnden Gesichtszüge. Wollte er mich testen, ob ich blind auf seine Provokationen reagiere? Ich hielt meine verletzten Gefühle mühsam zurück. Na klar, es war ja nur mein Ego, dass es nicht ertragen konnte, vom Meister falsch eingeschätzt und rüde behandelt zu werden. Aber in meinem Hinterkopf tauchte immer wieder die riesige Satellitenschüssel auf dem winzig kleinen Bungalow auf. Schaute sich der erleuchtete Meister, der so die Stille liebte, nachts heimlich Seifenopern oder gar Pornos an? « Hör doch auf! », rief ich mich zur Ordnung, « das sind vielleicht nur deine eigenen unbewussten Neigungen, die du auf Swamiji projizierst! »
Er hat te ja gleich zu Anfang gemahnt, auf die negativen Gedanken zu achten! Als wäre er hellsichtig. Obwohl es kein Kunststück war, vorauszusehen, dass bei dieser Behandlung – wenig liebevolle Aufmerksamkeit, zu wenig zu essen, strikte Isolation von der Außenwelt und keine sozialen Kontakte – Gedanken aufkommen mussten wie: « Vergeude ich hier meine Zeit? Spielt der Guru ein abgewichstes Spiel, oder bin ich tatsächlich nur ein unreifer, verzogener Westler ohne jegliches Talent für ein
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