Die langen Schatten der Erleuchtung
in der Toilette geräuschvoll übergab, und danach kreidebleich im Türrahmen stand, verabschiedete sich auch Gotti. Er hielt seine geöffnete Bierflasche dabei in der Hand.
„Mach's gut, alter Knabe!“, sagte er und schlug Harald auf die Schulter. „Ich wünsche noch einen schönen Abend, Marlies! Und - man sieht sich!“
Man muss die Eitelkeit denen überlassen,
die sich durch nichts anderes hervortun können.
Honoré de Balsac
Paradiesgarten oder wie Mark die Wirksamkeit der Dampfkochtopf-Methode erfuhr.
„...und dann dachte ich“, fuhr Mark fort, nachdem sie wieder mit den Bechern angestoßen hatten, „du vergisst jetzt mal die Einsiedler und versuchst es mit der Yoga Akademie des Swami Bhogananda Maharaj, der hier unter uns westlichen Sinnsuchern als Geheimtipp gilt. Ich hoffte insgeheim, mit Hilfe des « höchst erleuchteten Gurus », wie er in den ashrameigenen Werbebroschüren hochgejubelt wird, endlich etwas mehr Frieden, Glückseligkeit und kosmisches Bewusstsein zu erlangen.“
Pünktlich zur nachmittäglichen „Teestunde“ hatte Mark sich an der Höhle eingefunden. Er trug eine kurze Hose und ein T-Shirt. Nach der freudlosen Askese der letzten Wochen in den Ashrams der Umgebung entsprach der lockere, tantrische Meditationsstil der beiden Eremiten Hubertus und Mathilda doch eher seinen Neigungen. Sie hatten es sich in der Höhle bequem gemacht und waren gerade beim dritten Glas Whiskey.
„So meldete ich mich telefonisch für einen Informationsbesuch im Ashram an. Die Sekretärin des Swami war am Telefon kurz angebunden: «Wir legen viel Wert auf die Unberührtheit und Stille dieses Ortes. Wir nehmen auch nicht jeden neugierigen Westler auf. Der Swamiji überprüft zunächst einmal in einem Gespräch, ob Sie ein ernsthafter, spiritueller Sucher und als Schüler geeignet sind. Besuchszeit ist einmal die Woche am Donnerstag zwischen 14:00 und 16:00 Uhr. Seien Sie pünktlich an der Eingangspforte!»
Zur vereinbarten Zeit wartete ich also am Tor mit dem schmiedeeisernen Gitter und dem schweren Vorhängeschloss. Die Yoga Akademie ist etwa 10.000 qm groß. Das Gelände ist mit dickem Maschendraht umzäunt und erstreckt sich über eine üppig bewachsene Hügellandschaft. Vom ersten Eindruck wirkte es auf mich wie eine Mischung aus Tropenhaus und gepflegtem Wildpark. Ich wurde von einer amerikanischen Schülerin namens Suzanne empfangen. Sie trug einen weißen Sari und bedeutete mir wortlos, ihr den steilen, gewundenen Pfad durch das dschungelartige Gelände bis zu einem Hochplateau zu folgen. Gleich als erstes fiel mir diese riesige Satellitenschüssel auf, die auf dem flachen Dach des Hauptbungalows installiert war. Da war ich schon etwas misstrauisch, aber ich wollte mich ja darin üben, möglichst alles vorurteilslos zu sehen, und drängte erstmal alle Kritik beiseite.
Der Swami begrüßte mich still mit einem unergründlichen Lächeln. Dabei legte er die Handflächen aneinander in Namaste , dem traditionellen indischen Gruß, und neigte würdevoll den Kopf. Mit einer gebieterischen Bewegung der Hand forderte er mich auf, ihm zu folgen und schritt wie ein gespreizter Pfau mit betont aufgerichteter Haltung langsamen Schrittes voran, wobei er kaum den Boden zu berühren schien. Ich kam mir fast vor wie ein schwerfälliges Trampeltier, als ich hinter ihm hertrottete.
In der kleinen mit Bastmatten ausgelegten Meditationshalle wies Bhogananda mir eines der Kissen zu, die im Halbkreis um den Altar herum lagen. Er richtete betont langsam die Falten seines luftigen, orangenen Mönchsgewandes. Plötzlich schaute er mir mit bohrendem Blick forschend in die Augen, länger als es mir angenehm war. Ich hatte das Gefühl, als spähe er in den hintersten Winkel meines Bewusstseins. Aber vielleicht fühlte ich mich auch nur unbehaglich, weil er Dinge sah, die ich mir selbst nicht eingestehen wollte!? Aus meiner peinlichen Lage wurde ich Gott sei Dank errettet, als Gopal, der junge indische Diener und Koch, uns einen Tee servierte.
«Du bist also aus Schottland und wünschst, in die tiefe Weisheit der großen indischen Kultur eingeweiht zu werden?!», stellte Bhogananda fest. «Sehr gut! Absolute Aufrichtigkeit, beharrliches Üben und unerschütterliche Hingabe sind die Voraussetzungen dafür. Bist du dazu bereit?»
Bevor ich ein unbestimmtes «Ja» stottern konnte,
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