Die langen Schatten der Erleuchtung
schloss Swami Bhogananda Maharaj schon die Augen. Da war ich ihm dankbar für die Schonung, dass er mich nicht gleich nach meinen tieferen Beweggründen fragte - ich wäre bestimmt wieder im Nebel meiner Unschlüssigkeit und meiner vagen Träume steckengeblieben.
Nach etwa 20 Minuten sang er «Om Shanti, Shanti, Shanti…..», lächelte geheimnisvoll und sagte, er würde mich ausnahmsweise als Schüler annehmen, da ich ihm einigermaßen ernsthaft erschiene. Er könne mich wahre Hingabe lehren, die die einzige Bedingung sei, um Fortschritte auf dem mühseligen und gefährlichen Pfad zur Erleuchtung machen zu können. Im Gegenzug erwarte er von mir die strikte Beachtung der Ashramregeln, sonst könne ich es gleich vergessen – es gebe viel zu viele unreife Westler, die am liebsten über seinen Ashramzaun klettern würden, um von ihm Instant-Erleuchtung zu erlangen. Aber seine Zeit und sein Wissen seien nicht dazu da, verschleudert zu werden!
Kaum war ich entlassen, war schon Divya, seine Sekretärin, zur Stelle. Hinter ihrer monströsen Hornbrille fixierte sie mich mit dem strengen Blick einer Gefängniswärterin u nd schärfte mir sogleich ein, was alles für meinen Aufenthalt erforderlich war: Ich sollte am nächsten Morgen pünktlich um 8:00 Uhr erscheinen und einen Plastikeimer zum Waschen der Wäsche mitbringen. Der Tagessatz für Essen, Unterkunft und Studiengebühr betrug $ 5 Dollar. Wie Ihr wisst, ist das nach den hiesigen Verhältnissen soviel wie das halbe Monatseinkommen eines mittleren Angestellten. Ich war froh, als Schüler angenommen worden zu sein und machte mir über irgendwelche Ungereimtheiten noch keine Gedanken!“
„Uns sind natürlich auch «Meister» begegnet“, warf Mathilda ein, „die solch unverschämte finanzielle Forderungen stellten! Für uns war das immer ein untrügliches Indiz für mangelnde Seriosität und Geldgier. Wir haben uns nie darauf eingelassen! Eigentlich war Jojo der erste, der überhaupt nichts von uns gefordert hat !“
„Dieses Glück habe ich nie gehabt, ich wurde immer reichlich zur Kasse gebeten. Wie auch hier. Am nächsten Tag bezog ich eines der vier kleinen «Cottages». Das sind etwa 6 qm große Einzimmer-Bungalows mit Zementfußboden, weiß gekalkten Wänden und einer nackten Glühbirne an der Decke. Damit tagsüber etwas Licht hereinfällt, ist da eine vergitterte, kleine Luke. Und in der Mitte meiner kargen Klause lag eine von der Feuchtigkeit des Monsuns befallene Matratze, aber mit einem sauberen Laken. Alles in allem war es für mich romantisch und abenteuerlich, in völliger Einfachheit zu hausen! Für einen Augenblick dachte ich an das Entsetzen meiner Eltern, wenn sie mich hier sehen könnten. Ich war jedenfalls guter Dinge, obwohl der Hunger schon an mir zu nagen begann. Aber bald war es Zeit für das Mittagessen – das einzige Mahl am Tage, das den Ashramgästen von Gopal, dem Dienstboten des Swamis, serviert wurde.
Sw amiji hielt nichts von Üppigkeit. Zwei andere westliche Schüler, die ich gleich bei der ersten gemeinsamen Mahlzeit kennenlernte, warnten mich, ich solle darauf gefasst sein, dass unser Guru mit seinem Weisheitsauge alles sehe. Wenn ich also vorhätte, als Ergänzung zu der kargen Ration trockener Biskuits beim Morgentee noch Kekse, Schokolade und Süßigkeiten unter der Matratze oder im Wandschrank zu verstecken, sollte ich das schleunigst vergessen! Nichts machte Swamiji so wütend wie Heimlichkeiten – deshalb tauchte er oft unerwartet auf und beschlagnahmte alle unnötigen „Luxusgegenstände“, die die Aufmerksamkeit vom kosmischen Bewusstsein ablenken – nicht, ohne eine gehörige Strafpredigt abzulassen. Kevin, der neuseeländische Schüler, der dem Swami besonders hörig zu sein schien, fing gelegentlich sogar ein paar Ohrfeigen ein, wie er mir gestand!“
„Hat dich das nicht abgeschreckt?“, fragte Hubertus.
„Am Anfang habe ich das immer wieder ausgeblendet und mir eingeredet, dass dahinter ein höherer Zweck stehe, … dass man das nicht von unserem westlichen, rationalen Verstand her beurteilen kann. Bald fiel es mir jedoch schwer zu glauben, dass Swami Bhogananda erleuchtet war, wie er selbst immer wieder zwischen den Zeilen durchblicken ließ. Er war nicht so ungeniert, es direkt von sich zu behaupten, – nein, stattdessen zog er über andere «Erleuchtete» her. Sie würden sich ihre Erleuchtung nur einbilden - das könne er sehen! Von Bhagwan Rajneesh zum Beispiel wusste Bhogananda zu berichten, dass
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