Die langen Schatten der Erleuchtung
Sonne!“
„Bei uns in der Firma braut sich ´was zusammen!“, gestand Harald mit sorgenvoller Miene als er an seinem Kamillentee nippte. „Diesmal ist es aber nicht wie sonst! Man kennt das ja, auf den Betriebsversammlungen beschwört der Vorstand, dass wir kurz vor der Pleite stehen. Auf den Pressekonferenzen wiederum stellt der Vorstand das Geschäftsjahr dar, als müssten wir bald vor Reichtum den Laden dichtmachen! Das war bisher all die Jahre so, aber es ist nie etwas von Bedeutung passiert. Doch diesmal ist das erste Mal in der Firmengeschichte von betriebsbedingten Kündigungen die Rede! Und auch der Betriebsrat kann da nichts machen!“
„Aber du brauchst dir doch keine Sorgen zu machen, Harald!“, beschwichtigte ihn Marlies,
„Um mich mache ich mir auch keine Gedanken, brauche ich auch nicht! Guck mal, ich bin schon 55 Jahre alt und schon so lange bei der Firma. Genau wie Egon. Wir sind praktisch unkündbar! Von solchen Leuten wie uns lebt die Firma!“
„Aber alle, die bei jeder Gelegenheit krank machen und sich vor der Arbeit drücken“, meinte Vera, „die müssen sich jetzt wohl ernste Gedanken machen. Denn die schmeißen ja in solchen Fällen erst mal die Leute raus, die sie sowieso nicht gebrauchen können! So ist es jedenfalls in anderen Firmen!“
„Da hast du recht, das wäre logisch“, antwortete Harald, „aber ich habe während meiner Zeit bei der Deutschen Assekuranz schon so viel erlebt, was überhaupt nicht logisch war.......“
Jojo hatte sich von seiner Bank unter dem Fliederbaum erhoben und kam auf die Terrasse.
„Es sieht so aus, als ob heute viele Leute aus dem Schanzenviertel ihre Wohnung verlassen!“
„Wie kommst du denn darauf nun wieder?“, fragte Jutta.
„Sie stellen alle Möbel auf die Straße. Tische, Stühle, Matratzen, Schränke, Töpfe und vieles mehr!“
„Ach, das ist der Sperrmüll“, lachte Jutta, „der wird am Montag von der Müllabfuhr abgeholt!“
„Und dann?“
„Das meiste wird weggeschmissen und verbrannt!“
„Diese schönen Sachen?“
„Das ist wie mit der Mode, Jojo! Die Leute wollen auch mal wieder neue Möbel haben und nicht immer in den alten leben! Normalerweise hätten wir auch die Möbel von Käthchen auf die Straße gestellt. Aber euch macht es ja nichts aus!“
„Das ist auch notwendig“, schaltete sich nun Harald ein, „wenn wir nichts wegschmeißen würden, wäre das nicht gut für unsere Wirtschaft! Dann würden wir verarmen!“
„Das verstehe ich nicht!“, schüttelte Jojo den Kopf.
„Es geht uns allen nur so gut, weil wir immer wieder neue Sachen kaufen und die alten wegschmeißen! Es wäre eine Katastrophe, wenn alle Leute hier so sparsam wären wie du und Hanif! Das wäre unser Untergang!“
„Du meinst also, Harald, wenn wir in unserem Land das wenige, was die Menschen haben, auch noch wegschmeißen, dann ginge es uns besser?“
„Ja, natürlich! Das ist doch unser erfolgreiches Prinzip! Alle Leute arbeiten tüchtig und lange, kaufen von ihrem Geld Sachen, die sie bald wieder wegwerfen! Dadurch haben alle Arbeit, und es geht uns allen gut!“
„Das will mir nicht einleuchten!“
„Es ist ganz einfach zu verstehen, Jojo! Wenn wir nichts wegwerfen, brauchen wir auch nichts zu produzieren! Unsere Wirtschaft benötigt aber Wachstum, sonst geht es den Bach runter! Wir müssen also jedes Jahr noch mehr produzieren! Und wie kann das wohl nur funktionieren?“
„Ihr müsst noch mehr wegschmeißen, damit ihr noch reicher werdet?“
„Genau, du hast es begriffen, Jojo! Und das Geheimnis dabei ist, dass da keiner aus der Reihe tanzt und alle mitmachen! Und ich kann mir gut vorstellen, dass es da in eurem Land noch hapert!“
„Bedeutet es aber nicht letzten Endes, wenn man arbeitet, um Dinge zu kaufen, die man dann wieder wegwirft, dass alle umsonst arbeiten!?“
Noch einmal schaute Gott auf seine Schöpfung
und befand, dass es an der Zeit war, in den Ruhestand zu gehen.
Doch aus alter Gewohnheit zog es ihn wieder ins Getümmel.
Sogleich öffnete er seinen Requisitenschrank
und suchte nach der passenden Verkleidung -
als zorniger Vater, leidender Sohn und heulender Geist.
Meepak
Haralds 55er-Regelung oder wie
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