Die Larve
Schatz.«
Bellman sah Harry mit einem Gesichtsausdruck an, der zu sagen schien: Was soll man da machen?
»Hallo«, sagte sie und sah Harry herausfordernd an. »Papa und ich sind gerade mit einer neuen Ladung auf dem Hänger gekommen. Wenn Sie Lust …«
»Kaputter Rücken und plötzliches Heimweh«, murmelte Harry, leerte die Kaffeetasse und stand auf.
»Noch eine andere Sache«, sagte Harry, als er mit Bellman im Windfang stand. »Dieser Besuch, von dem ich erzählt habe, im Radiumhospital.«
»Ja?«
»Da war so ein Typ, ein Forscher, ein buckliger Kauz. Martin Pran. Das ist nur so ein Gefühl im Bauch, aber vielleicht könnten Sie den mal für mich checken.«
»Für Sie?«
»Sorry, alte Gewohnheit. Für die Polizei. Das Land, die Menschheit.«
»Ein Gefühl im Bauch?«
»Viel mehr habe ich in diesem Fall nicht anzubieten. Und wenn Sie mir einen Tipp geben könnten, wenn Sie was gefunden haben …«
»Ich denk mal drüber nach.«
»Danke, Mikael.« Harry spürte, wie schwer ihm der Vorname über die Lippen ging. Er fragte sich, ob er ihn jemals zuvor so genannt hatte. Mikael öffnete die Tür. Draußen regnete es, kalte Luft schlug ihnen entgegen.
»Das mit dem Jungen tut mir leid«, sagte Bellman.
»Welchem von beiden?«
»Beiden.«
»Hm.«
»Wissen Sie was? Ich habe Gusto Hanssen mal getroffen. Er ist mal hierhergekommen.«
»Hierher?«
»Ja, ein auffällig hübscher Kerl. So ein …« Bellman suchte nach einem passenden Wort und gab es schließlich auf. »Waren Sie als kleiner Junge auch so in Elvis verknallt? Man crush nennen sie das in Amerika.«
»Aha«, sagte Harry und holte die Zigaretten heraus. »Nein.«
Er hätte wetten können, dass die weißen Pigmentflecken in Bellmans Gesicht rot aufgeflammt waren.
»Der Junge hatte so ein Gesicht. So eine Ausstrahlung.«
»Was wollte er hier?«
»Mit einem Polizisten reden. Ich hatte ein paar Kollegen hier. Nachbarschaftshilfe. Wenn man nur den Polizeilohn hat, muss man das meiste selber machen, wissen Sie.«
»Mit wem hat er gesprochen?«
»Wer?« Bellman sah Harry an. Das heißt, sein Blick war auf Harry gerichtet, sah aber etwas ganz anderes, etwas weit Entferntes, das ihm gerade erst bewusst wurde. »Ich erinnere mich nicht mehr. Diese Junkies wollen doch immer irgendwas ausplaudern, solange sie einen Tausender dafür kriegen, um sich den nächsten Schuss setzen zu können. Schönen Abend noch, Harry.«
Die Dunkelheit hatte sich über die Stadt gesenkt, als Harry durch Kvadraturen lief. Ein Wohnmobil hielt weiter oben in der Straße vor einer der schwarzen Huren. Die Tür ging auf, und drei Jungs, sie konnten kaum älter als zwanzig sein, sprangen heraus. Einer von ihnen filmte, während der andere sich an die Frau wandte. Sie schüttelte den Kopf. Hatte anscheinend keine Lust auf einen Gang-Bang-Film für YouPorn. Auch in ihrer Heimat gab es Internet. Familie und Verwandte. Vielleicht glaubten sie ja wirklich noch, dass sie sich das Geld, das sie ihnen nach Hause schickte, als Kellnerin verdiente. Vielleicht glaubten sie es auch nicht, stellten aber keine Fragen. Als Harry sich näherte, spuckte einer der Jungen vor ihr auf den Asphalt und sagte mit schrillem Lallen, » cheap nigger ass «.
Harry begegnete dem müden Blick der Schwarzen. Sie nickten sich zu, als erkannten sie etwas im Blick des anderen. Die zwei anderen Jungs wurden auf Harry aufmerksam und richteten sich auf. Sie waren groß und gutgenährt. Rosige Wangen, Muskeln aus dem Fitnessstudio und vielleicht ein Jahr mit Kickboxen oder Karate.
»Guten Abend«, sagte Harry lächelnd, ohne langsamer zu werden.
Als er an ihnen vorbei war, hörte er die Tür des Wohnmobils zuschlagen und den Motor aufbrausen.
Ein paar Schritte weiter schwappte ihm wieder dieselbe Musik aus der geöffneten Tür entgegen. Come As You Are. Die Einladung.
Harry wurde langsamer. Einen Augenblick lang.
Dann beschleunigte er seine Schritte wieder und ging vorbei, ohne nach rechts oder links zu sehen.
Am nächsten Morgen wachte er davon auf, dass sein Handy klingelte. Er richtete sich im Bett auf, blinzelte in das Licht, das durch das gardinenlose Fenster fiel, streckte den Arm zu der Jacke aus, die über dem Stuhl hing, und durchwühlte die Taschen, bis er das Telefon fand.
»Ja.«
»Hier ist Rakel.« Sie war vor Aufregung ganz kurzatmig. »Sie haben Oleg freigelassen. Er ist frei, Harry!«
Kapitel 25
H arry stand nackt im Morgenlicht in der Mitte seines gardinenlosen Hotelzimmers und
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