Die Larve
sich bei jedem noch so banalen Blick gleich wieder etwas einzubilden. Wäre er nicht so verzweifelt auf der Suche gewesen, hätte er in ihrem Verhalten nur ganz normale Freundlichkeit gesehen, nicht mehr. Irgendwann, eines Tages, hatte er dann ein Gespräch mitbekommen, aus dem er entnehmen konnte, dass sie schwanger war. Diese verdammte Hure. Sie waren doch alle gleich. Wie dieses Mädchen, das Gusto Hanssen vorausgeschickt hatte. Huren, Huren. Er hasste diese Frauen. Und die Männer, die sich darauf verstanden, die Liebe dieser Frauen für sich zu gewinnen.
Er sprang auf und ab und schlug die Arme um sich, wusste aber, dass ihm nie wieder warm werden würde.
Harry war wieder in Kvadraturen. Er hatte sich im Postcafé, das ganze vier Stunden vor dem Restaurant Schrøder seine Türen öffnete, in die Schlange der bierdurstigen Seelen eingereiht, bis er sich schließlich eine Art Frühstück bestellen konnte.
Dann rief er Rakel an und bat sie, Olegs Posteingang zu überprüfen.
»Ja«, sagte sie. »Da ist eine von Bellman an dich. Sieht aus wie eine Adressliste.«
»Okay«, sagte Harry. »Schick die an Beate Lønn weiter.« Er gab ihr Beates E-Mail-Adresse.
Als Nächstes schickte er Beate eine SMS , informierte sie über die Liste und aß sein Frühstück, dann verließ er das Café wieder und ging in das Restaurant Stortorvets Gjæstgiveri, wo er es gerade noch schaffte, einen weiteren Kaffee zu trinken, bevor Beate anrief.
»Ich habe deine Liste mit denen verglichen, die ich direkt von den Streifenwagen hatte. Was ist das eigentlich für eine Liste?«
»Das ist die Liste, die Bellman bekommen und an mich weitergeleitet hat. Ich will nur wissen, ob er einen korrekten Bericht erhalten hat oder ob da einer seine Finger im Spiel hatte.«
»Ach so. Alle Adressen, die auf meinen Listen waren, sind auch auf der Liste, die du von Bellman erhalten hast.«
»Hm«, sagte Harry. »Gab es da nicht einen Wagen, von dem du keine Liste gekriegt hast?«
»Worum geht es hier eigentlich, Harry?«
»Ach, ich versuche nur, den Brenner dazu zu bringen, uns zu helfen.«
»Und wobei?«
»Bei der Suche nach dem Haus, in dem Dubai wohnt.«
Pause.
»Ich werde sehen, ob ich nicht auch noch diese letzte Liste auftreiben kann«, sagte Beate.
»Danke. Bis bald.«
»Warte.«
»Ja?«
»Willst du nicht wissen, was nun endgültig bei der DNA -Analyse des Blutes unter Gustos Nägeln herausgekommen ist?«
Kapitel 35
Es war Sommer, und ich war der König von Oslo. Ich hatte ein halbes Kilo Violin für Irene bekommen und die Hälfte davon auf der Straße verkauft. Das sollte mein Startkapital für etwas Großes sein, eine neue Liga, die den Alten aus der Bahn fegen sollte. Aber erst wollte ich diesen Start feiern. Mit dem Kleingeld aus dem Verkauf besorgte ich mir einen Anzug, der zu den Schuhen passte, die ich von Isabell Skøyen bekommen hatte. Ich sah aus wie der One-Million-Dollar-Man, und niemand zuckte auch nur mit der Wimper, als ich ins Grand marschierte und mir eine Suite mietete. Wir blieben dort. Feierten eine 24-Stunden-Party. Wobei die Besetzung etwas variierte, denn es war Sommer. Oslo, Mädels, Jungs, es war wie in alten Zeiten, wir waren nur etwas stärker zugedröhnt. Sogar Oleg taute ein bisschen auf und wurde für eine kurze Zeit wieder der Alte. Irgendwie stellte sich bei dieser Party heraus, dass ich mehr Freunde als erwartet hatte, so dass das Dope viel schneller als gedacht verschwand. Als wir aus dem Grand rausgeschmissen wurden, gingen wir ins Christiania. Danach ins Radisson am Holbergs plass.
Natürlich konnte das nicht ewig so weitergehen, aber was ist schon für die Ewigkeit?
Ein oder zwei Mal sah ich eine schwarze Limousine auf der anderen Straßenseite stehen, als ich aus dem Hotel kam, aber auch von diesen Autos gibt es ja mehrere. Außerdem stand es ja nur da.
Irgendwann kam dann unausweichlich der Tag, an dem mir das Geld ausging und ich mehr Dope verkaufen musste. Ich hatte mir ein Versteck in einer der Besenkammern in der Unteretage des Hotels eingerichtet. Hinter ein paar lockeren Verschalungsbrettern und gut geschützt durch ein Kabelbündel. Aber entweder hatte ich im Schlaf geredet, oder ich war beobachtet worden, denn das Versteck war leer. Und ein zweites hatte ich nicht.
Plötzlich waren wir wieder auf scratch . Nur dass es jetzt kein »wir« mehr gab. Es war höchste Zeit, auszuchecken und sich den ersten Schuss des Tages zu setzen, auch wenn wir uns den jetzt wieder auf der Straße
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