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Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Ersatzmagazin der MP5 in die Innentasche seiner Jacke. Er konzentrierte sich auf den Atem, darauf, dass Hirn und Muskeln genügend Sauerstoff bekamen. Dann sah er auf die Uhr. Eine Minute nach eins. In dreiundzwanzig Stunden ging sein Flug. Der Flug von Rakel und ihm.
    Harry atmete zweimal tief durch. Vermutlich war das Tor zum Grundstück alarmgesichert, er war aber zu schwer bepackt, um schnell über das Tor zu klettern, und hatte weiß Gott keine Lust, noch einmal, wie in der Madserud allé, als lebende Zielscheibe herzuhalten.
    Zweieinhalb, dachte Harry, drei.
    Dann ging er zum Tor, drückte die Klinke nach unten und öffnete es. Er nahm die Riot Gun in die eine Hand, die MP 5 in die andere und lief los. Nicht über den Kies, sondern über die Wiese. Er rannte zum Wohnzimmerfenster. Als Polizist hatte er genug Blitzeinsätze erlebt, um zu wissen, welche Riesenvorteile einem das Überraschungsmoment verschaffte. Nicht nur, weil man dann die Möglichkeit hatte, als Erster zu feuern, sondern weil die Gegner durch Schockeffekte, Blendgranaten zum Beispiel, vollkommen paralysiert werden konnten. Andererseits wusste er auch, welch kurze Lebensdauer dieses Überraschungsmoment hatte. Deshalb begann er seinen Countdown. Fünfzehn Sekunden. Mehr Zeit hatte er nicht. Hatte er sie bis dahin nicht überwältigt, würden sie es schaffen, sich zu sammeln, neu zu gruppieren und zurückzuschlagen. Sie kannten sich im Haus aus, und er hatte nicht einmal eine Planskizze.
    Vierzehn, dreizehn.
    Von dem Augenblick an, in dem er zwei Gaspatronen ins Wohnzimmerfenster schoss, die explodierten und alles in weißen Nebel hüllten, schien sich die Zeit zu verzögern, wie in einem Film, der in Zeitlupe lief und immer wieder hängen blieb. Er registrierte, dass er sich bewegte, dass sein Körper tat, was er sollte, während sein Kopf das aber nur bruchstückhaft mitbekam.
    Zwölf.
    Er zog sich die Gasmaske vors Gesicht, warf die Riot Gun ins Wohnzimmer, fegte mit der MP5 die größten Glassplitter weg, die aus dem Fensterrahmen ragten, legte den Rucksack auf den Rahmen und schwang sich in den weißen Nebel, der ihm entgegenschwappte. Die schusssichere Bleiweste behinderte all seine Bewegungen, aber als er drinnen war, schien er wie auf einer Wolke dahinzugleiten. Das eingeschränkte Blickfeld der Gasmaske verstärkte das Gefühl, in einem Film zu sein. Als er Schüsse hörte, warf er sich zu Boden.
    Acht.
    Mehrere Schüsse. Dann knallte es trocken, und Splitter flogen aus dem Parkett. Sie waren nicht paralysiert. Er wartete. Dann hörte er es. Ein Husten. Das Husten, das man einfach nicht unterdrücken konnte, wenn das Tränengas in den Augen, der Nase, auf den Schleimhäuten und in der Lunge brannte.
    Fünf.
    Harry wippte die MP5 hoch und schoss in Richtung des Geräusches vor sich im grauweißen Halbdunkel. Dann hörte er kurze, schlurfende Schritte, die sich über eine Treppe entfernten.
    Drei.
    Harry kam auf die Beine und folgte dem Geräusch.
    Zwei.
    Oben in der zweiten Etage war kein Rauch. Gelang es dem Flüchtenden zu entkommen, würden Harrys Chancen dramatisch sinken.
    Eins, null.
    Harry erahnte die Seite einer Treppe vor sich, sah das Geländer, schob die MP5 zwischen die Streben, drehte die Mündung schräg nach oben und drückte den Abzug. Die Waffe zitterte in seiner Hand, aber er hielt sie fest und leerte das Magazin. Dann zog er sie zurück, ließ das leere Magazin herausgleiten, suchte mit der freien Hand in der Jackentasche nach dem zweiten, fand aber nur die leere Flasche. Er musste das Ersatzmagazin verloren haben, als er sich auf den Parkettboden geworfen hatte! Die anderen waren im Rucksack, und der lag noch im Fensterrahmen.
    Harry wusste, dass er tot war, als er die Schritte auf der Treppe hörte. Sie waren auf dem Weg nach unten. Erst kamen sie langsam, zögernd, dann schneller und schneller, bis sie schließlich wie ein Trommelwirbel nach unten rasten. Harry sah jemanden aus dem Nebel auf sich zustürzen. Eine Gestalt mit weißem Hemd und schwarzem Anzug. Sie kippte gegen das Geländer, knickte in der Mitte ein und rutschte leblos über den Handlauf bis zum Endpfosten. Harry sah die ausgefransten Löcher im Sakkorücken, wo die Kugeln eingedrungen waren. Er trat zu dem Körper, packte ihn an den Haaren und hob den Kopf hoch. Ihm wurde schlecht, und er musste gegen den Impuls ankämpfen, die Gasmaske abzunehmen.
    Eine Kugel hatte auf ihrem Weg nach draußen die Nase halb weggerissen. Trotzdem erkannte Harry den

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