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Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Platte war es so dunkel, dass er nichts erkennen konnte. Dann leuchtete etwas auf, es sah aus wie das Glitzern des Sonnenlichts an einem schönen Herbstnachmittag auf dem Oslofjord. Für einen Moment war es vollkommen still. Harrys Hirn arbeitete auf Hochtouren. Der verdeckte Ermittler hatte ertrunken mitten im Tunnel gelegen. Die Wassertürme und dann dieser unterdimensionierte Gang. Das Moos an der Decke, das kein Moos war, sondern Algen. Dann sah er die Wand auf sich zurasen. Grünschwarz mit weißen Rändern. Er drehte sich um, um davor wegzulaufen. Und sah die gleiche Wand von der anderen Seite auf sich zuschießen.
    Kapitel 41
    E s war, wie zwischen zwei aufeinander zurasenden Zügen zu stehen. Die Wand des Wassers, das von vorn kam, traf ihn als erste und schleuderte ihn nach hinten. Er spürte, dass er mit der Stirn auf dem Boden aufschlug, bevor er wieder hochgerissen und weitergeschleudert wurde. Verzweifelt ruderte er mit den Armen, Finger und Knie kratzten an den Wänden entlang, und jeder Versuch, sich irgendwo festzuhalten, war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Er war nicht mehr als ein Spielball des Wassers. Chancenlos. Dann hörte es ebenso schnell, wie es begonnen hatte, auch wieder auf. Er spürte die einander entgegenlaufenden Wellen, als sich die Wassermassen neutralisierten. Dann war plötzlich etwas an seinem Rücken. Zwei weiße, grünschimmernde Arme legten sich von hinten um Harry und hoben sich, bis die blassen Finger über sein Gesicht strichen. Harry stieß sich mit den Füßen ab, drehte sich um und sah, wie die Leiche mit dem bandagierten Bauch wie ein schwereloser, nackter Astronaut durch das dunkle Wasser schwebte. Mit offenem Mund und langsam wogenden Haaren und Bart. Harry stemmte die Beine auf den Boden, legte den Kopf in den Nacken und streckte den Mund nach oben, aber das Wasser reichte bis unter die Decke. Dann hockte er sich hin, betrachtete die MP5 und den weißen Strich am Boden und machte den ersten Schwimmzug. Anfänglich war er komplett orientierungslos gewesen, doch nun hatte die Leiche ihm verraten, welcher Weg zu seinem Ausgangspunkt zurückführte. Harry schwamm mit leicht diagonalem Körper, so dass er möglichst kraftvolle Armzüge machen konnte. Er schwamm, stieß sich mit den Beinen vorwärts und versuchte, alle anderen Gedanken auszusperren. Der Auftrieb war kein Problem, im Gegenteil, die schusssichere Weste zog ihn eher zu sehr nach unten. Trotzdem meldete sich immer wieder ein ganz bestimmter Gedanke. Harry überlegte, ob er sich die Zeit nehmen sollte, den Mantel auszuziehen, der nach oben trieb und reichlich Widerstand leistete. Doch dann versuchte er, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Er musste zurück zum Schacht schwimmen, nicht die Sekunden zählen, nicht die Meter. Aber der Druck in seinem Kopf nahm zu, als wollte er explodieren. Und dann war der Gedanke plötzlich doch wieder da. Sommer, Fünfzigmeterbecken. Früher Morgen, fast menschenleer, Sonne, Rakel im Bikini. Oleg und Harry, die herausfinden wollten, wer von ihnen am weitesten tauchen konnte. Oleg war nach dem Eisschnelllauftraining gut in Form, Harry hatte dafür die bessere Schwimmtechnik. Rakel feuerte sie an und lachte ihr wunderbares Lachen, als sie sich aufwärmten. Beide spielten sie sich vor ihr auf, sie war die Königin des Frognerbades und Oleg und Harry ihre Untertanen, die einen Blick von ihr zu erhaschen hofften. Dann ging es los. Aber sie kamen exakt gleich weit. Tauchten nach vierzig Metern auf, beide siegessicher nach Atem ringend. Vierzig Meter. Zehn Meter vor dem Beckenrand. Mit Abstoßen und reichlich Platz für die Armzüge. Etwas mehr als die Hälfte der Strecke bis zum Schacht. Er hatte keine Chance. Dieser Ort würde ihm den Tod bringen. Hier, jetzt, gleich. Seine Augäpfel fühlten sich an, als wollten sie aus dem Kopf springen. Der Flug ging um Mitternacht. Gelber Bikini. Zehn Meter bis zum Beckenrand. Er machte noch einen Zug. Und noch einen, aber danach würde er sterben.
    Es war nachts um halb vier Uhr. Truls Berntsen fuhr durch die Stadt, und der Regen legte sich wie ein Flüstern auf die Windschutzscheibe des Wagens. Er fuhr seit zwei Stunden herum. Nicht, weil er nach etwas suchte, sondern weil er so Ruhe fand. Ruhe, um nachzudenken, und Ruhe, um nicht zu denken.
    Jemand hatte eine Adresse von der Liste gestrichen, die Harry Hole bekommen hatte. Und dieser Jemand war nicht er gewesen.
    Vielleicht war doch nicht alles so logisch und klar, wie er sich

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