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Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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zweiundzwanzig Stufen hatte er festen Boden unter einem Fuß. Als er auch den anderen Fuß auf den Boden stellen wollte, bewegte sich dieser plötzlich unter ihm. Harry verlor die Balance, landete aber weich.
    Verdächtig weich.
    Er blieb regungslos liegen und lauschte. Dann holte er das Feuerzeug aus seiner Hosentasche, ließ es zwei Sekunden lang brennen und klappte es wieder zu. Was er gesehen hatte, reichte ihm.
    Er lag auf einem Menschen.
    Einem ungewöhnlich großen und ungewöhnlich nackten Menschen. Seine Haut war kalt wie Marmor und hatte die typisch fahle blassblaue Färbung, die sich etwa einen Tag nach dem Tod einstellt.
    Harry stand auf und lief über den Zementboden zu der Tür, die er im Lichtschein seitlich an der Wand bemerkt hatte, wobei er mit der Hand die Wände absuchte, bis er einen Lichtschalter fand. Mit dem brennenden Feuerzeug in der Hand war nur er ein Ziel, bei eingeschaltetem Licht galt das für alle. Er hielt die MP5 schussbereit in der Hand, als er mit der linken Hand den Schalter betätigte.
    Eine Reihe von Lampen erhellte den schmalen, engen Gang.
    Harry stellte fest, dass er allein war, und warf noch einmal einen Blick auf die Leiche. Sie lag auf einer Decke und hatte eine blutige Bandage um den Bauch. Von der Brust starrte ihn die tätowierte Jungfrau Maria an. Harry kannte die Bedeutung dieser Tätowierung. Dieser Mann musste von Kindesbeinen an kriminell gewesen sein. Da er keine anderen sichtbaren Verletzungen hatte, ging Harry davon aus, dass er an der Wunde unter der Bandage gestorben war. Vermutlich verursacht durch eine Kugel aus Truls Berntsens Steyr.
    Harry überprüfte die Bunkertür. Sie war verschlossen. In die Schmalseite des unterirdischen Ganges war eine Metallplatte eingelassen. Rudolf Asajev hatte von hier aus also nur einen Weg nehmen können. Und der führte durch den Tunnel. Harry wusste, warum er erst alle anderen Möglichkeiten überprüft hatte. Sein Traum.
    Er richtete den Blick auf das Ende des engen Tunnels.
    Verfluchte Klaustrophobie! Er hatte nicht die Zeit für kontraproduktive, falsche Gefahrensignale. Stattdessen stellte er sicher, dass das Magazin auch richtig in der MP 5 steckte. Verdammt. Gespenster gibt es doch nur, wenn man an sie glaubt.
    Dann setzte er einen Schritt vor den anderen.
    Der Tunnel war noch enger und niedriger, als er gedacht hatte. Obwohl er sich bückte, schrammten sein Kopf und seine Schultern an den bemoosten Wänden entlang. Er versuchte, sich zu konzentrieren, um gegen die Klaustrophobie anzukämpfen. Überlegte, dass der Fluchtweg noch von den Deutschen stammen musste und dass so auch die zugemauerte Hintertür einen Sinn ergab. Aus alter Gewohnheit versuchte er fortwährend, sich zu orientieren, und wenn er sich nicht irrte, war er auf dem Weg zu dem Nachbarhaus, neben dem auch so ein Turm gestanden hatte. Der Gang war gut durchdacht, am Boden fanden sich sogar mehrere Ablaufrinnen, sollte es mal undichte Stellen geben. Seltsam, dass die autobahnbauenden Deutschen den Gang so eng ausgeführt hatten. Bei diesem Gedanken schlug die Klaustrophobie noch einmal zu. Harry konzentrierte sich auf seine Schritte, begann sie zu zählen und versuchte sich vorzustellen, unter welchem Punkt des Geländes er sich genau befand. Draußen, frische Luft, atmen, atmen. Zähl, verdammt noch mal. Als er bei einhundertunddreißig war, bemerkte er unter sich einen weißen Strich auf dem Boden. Ein gutes Stück vor ihm hörten die Lampen auf, und als er sich umdrehte, stellte er fest, dass dieser Strich die Mitte des Tunnels markieren musste. Bei den kleinen Schritten, zu denen ihn die Beengtheit zwang, schätzte er die zurückgelegte Strecke auf etwa sechzig oder siebzig Meter, er hatte es also bald geschafft. Er versuchte, etwas schneller zu gehen, und schaufelte die Beine wie ein Greis unter sich durch, als er plötzlich ein Klicken hörte und nach unten schaute. Das Geräusch war aus einem Ablauf gekommen. Die Gitterkanten drehten sich und zeigten auf einmal ihre breite, flache Seite, die sich wie bei einem Auto, dessen Lüftung man verriegelte, überlappten. Im selben Moment hörte er auch noch ein anderes Geräusch, ein tiefes Grummeln, das hinter ihm an Lautstärke gewann. Er drehte sich um.
    Und beobachtete die Reflexionen des Lichts auf dem Metall. Die in die Wand eingelassene Platte bewegte sich. Sie glitt langsam zu Boden und verursachte dabei dieses Geräusch. Harry blieb stehen und hielt die Maschinenpistole vor sich, aber hinter der

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