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Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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kleinen Mann wieder, der in der Zimmertür des Leons gestanden hatte. Der Mann, der in der Madserud allé aus dem Auto heraus auf ihn geschossen hatte.
    Harry lauschte. Nur das Zischen der Tränengaspatronen, aus denen noch immer weißer Rauch quoll, war zu hören. Er schlich zurück zum Wohnzimmerfenster, fand den Rucksack, schob ein neues Magazin in die automatische Waffe und steckte sich ein weiteres in die Manteltasche. Erst jetzt spürte er, wie sehr er unter der Weste schwitzte.
    Wo war der Große? Und wo war Dubai? Harry lauschte wieder. Gas fauchte. Aber hörte er über sich nicht auch Schritte?
    Durch den Gasnebel erahnte er noch eine weitere, geschlossene Tür und einen offenen Durchgang zu einer Küche. Er postierte sich neben der Tür, riss sie auf, steckte die Riot Gun in die Öffnung und feuerte einen Schuss ab, bevor er sie wieder schloss und bis zehn zählte.
    Leer. Durch den Rauch sah er Bücherregale, einen Lehnsessel mit einem schwarzen Lederbezug und einen großen Kamin, über dem ein Gemälde von einem Mann in schwarzer Gestapo-Uniform hing. War das eine alte Nazi-Villa? Harry wusste, dass der norwegische Nazi und Generalmajor Karl Marthinsen in einer beschlagnahmten Villa im Blindernveien gewohnt hatte, als er von Kugeln durchlöchert vor dem naturwissenschaftlichen Trakt der Universität seinen letzten Atemzug tat.
    Harry ging zurück, lief durch die Küche in das damals übliche Dienstmädchenzimmer dahinter und fand, wonach er suchte. Die Hintertreppe.
    Gewöhnlich dienten diese Hintertreppen auch als Notausgang für den Fall eines Feuers, doch diese Treppe führte zu keiner Außentür, sondern in einen Keller. Die Tür nach draußen schien zugemauert worden zu sein.
    Harry schaute nach, ob noch eine Gaspatrone in der Waffe war, lief zurück zur Haupttreppe, stieg diese mit langen lautlosen Schritten hoch und schoss die Patronen oben in den Flur. Als er geduldig bis zehn zählte, schlugen die Schmerzen in seinem Hals wieder zu, aber es gelang ihm noch einmal, sich zu konzentrieren. Dann lief er in den Flur und untersuchte die Räume. Das erste Zimmer war verschlossen, die anderen waren Schlafzimmer. Es war kein Mensch dort, die Räume schienen aber bewohnt zu sein. In einem fehlte der Bettbezug, und die Matratze war dunkel verfärbt, als wäre sie von Blut getränkt. Auf dem Nachtschränkchen des anderen Zimmers lagen eine große, dicke, russisch-orthodoxe Bibel in kyrillischer Schrift und ein fertiger zjuk . Ein roter Ziegelstein, aus dem sechs Nägel ragten. Etwa genauso dick wie die Bibel.
    Harry ging zurück zu der verschlossenen Tür. Er schwitzte so, dass das Glas der Maske beschlagen war. Dann stemmte er den Rücken gegen die Wand auf der anderen Seite, hob den Fuß und trat gegen das Schloss. Nach dem vierten Tritt gab das Schloss nach. Harry hockte sich hin, feuerte eine Salve in den Raum und hörte Glas klirren. Er wartete, bis der Nebel vom Flur in das Zimmer gezogen war, bevor er nachrückte. Hinter der Tür war ein Lichtschalter.
    Das Zimmer war größer als die beiden anderen. An der Längsseite stand ein benutztes Himmelbett, und auf dem Nachttischchen glänzte ein Ring mit einem blauen Stein.
    Harry schob die Hand unter die Decke. Das Bett war noch warm.
    Er sah sich um. Wer auch immer hier gelegen hatte, konnte nicht durch die Tür nach draußen gelaufen sein, da der Schlüssel von innen steckte. Harry überprüfte das Fenster, es war geschlossen und verriegelt. Dann fiel sein Blick auf den massiven Schrank an der Schmalseite des Raumes. Er öffnete ihn.
    Auf den ersten Blick war es ein ganz normaler Schrank, doch als er gegen die Rückwand drückte, ließ sich diese bewegen.
    Ein Fluchtweg. Deutsche Gründlichkeit.
    Harry schob die Hemden und Jacken zur Seite und warf einen Blick hinter die Rückwand. Kalte Luft stieg ihm aus einem dunklen Schacht entgegen. Er tastete sich mit der Hand vorwärts, bis er die in die Mauer eingelassenen Eisenstufen fand, die nach unten, vermutlich in einen Keller führten. Ein Bild flatterte durch seinen Kopf, der losgerissene Fetzen eines Traums. Er verdrängte es, nahm die Gasmaske ab und schob sich hinter die falsche Wand. Seine Füße erreichten die Stufen, und er stieg vorsichtig nach unten. Als sein Gesicht in Höhe des Schrankbodens war, sah er dort etwas liegen. Es war ein bogenförmiges Stück gestärkte Baumwolle. Harry nahm es, steckte es in die Tasche seines Mantels und rückte weiter ins Dunkel vor. Er zählte die Schritte. Nach

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