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Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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bist zwar klug, aber das da hast du von mir gelernt.
    Ich warf mich auf die Knie. War schon high, während ich nur mit dem Stahldraht arbeitete. Meine Finger zitterten so, dass ich sie am liebsten abgebissen hätte. Ich spürte, dass ich Halt fand, rutschte aber wieder ab. Da musste einfach Violin sein! Musste!
    Dann endlich hatte ich einen Biss, der Fisch hing am Haken. Ich zog ihn ein. Es war ein großer, schwerer Stoffbeutel. Ich öffnete ihn. Es musste etwas drin sein, musste!
    Ein Gummiriemen, ein Esslöffel, eine Spritze. Und drei kleine, durchsichtige Tütchen. Das weiße Pulver in den Tütchen hatte feine braune Bestandteile. Mein Herz sang. Ich war endlich wieder vereint mit dem einzigen Freund und Lover, dem ich jemals vertrauen konnte.
    Ich steckte zwei Tütchen in die Tasche und öffnete das dritte. Wenn ich sparsam war, reichte das für eine Woche, ich musste mir jetzt nur diese eine Spritze setzen und dann Land gewinnen, ehe Stein oder sonst jemand kam. Ich kriegte das Pulver auf den Löffel und zündete das Feuerzeug an. In der Regel tat ich noch ein paar Tropfen Zitronensaft dazu, dieses künstliche Zeug, das man in der Flasche kauft und das die Leute sich in den Tee tun. Der Stoff verklumpt dann nicht so leicht, und man bekommt alles in die Spritze. Aber ich hatte weder Zitronen noch Geduld. Ich hatte nur eine Sache im Kopf. Das Zeug musste in mein Blut.
    Ich legte den Gummiriemen um meinen Oberarm, nahm ein Ende in den Mund und spannte ihn. Eine dicke blaue Ader kam zum Vorschein. Ich legte die Spritze im richtigen Winkel an, um die größte Trefferfläche zu haben und das verfluchte Zittern in den Griff zu kriegen, aber ich zitterte, ich zitterte wie ein Verrückter.
    Und verfehlte die Ader.
    Einmal. Zweimal. Hielt den Atem an. Nicht zu viel nachdenken, nicht zu sehr freuen, keine Panik kriegen.
    Die Spitze der Nadel tanzte. Ich hieb auf die blaue Schlange ein.
    Und verfehlte sie wieder.
    Ich kämpfte gegen die Verzweiflung an. Überlegte, erst etwas zu rauchen, um wieder ruhig zu werden. Aber ich wollte den totalen Rausch, den Kick, wenn die ganze Dosis ins Blut ging, in den Kopf, ich wollte den Orgasmus, den freien Fall!
    Die Wärme und das Sonnenlicht brannten in meinen Augen. Ich ging ins Wohnzimmer und setzte mich in den Schatten an der Wand. Verdammt, jetzt sah ich die blaue Ader ja nicht mal mehr! Ruhig. Ich wartete, bis meine Pupillen sich geweitet hatten. Zum Glück waren meine Unterarme weiß wie eine Kinoleinwand, so dass die Ader sich abzeichnete wie ein Fluss auf einer Grönlandkarte. Jetzt.
    Niete.
    Ich hatte einfach nicht die Kraft dafür und spürte die Tränen kommen. Dann hörte ich eine Schuhsohle knirschen.
    Ich war so konzentriert gewesen, dass ich ihn nicht kommen gehört hatte. Und als ich aufblickte, waren meine Augen so voller Tränen, dass ich nur eine verzerrte Silhouette sah, wie in einem dieser verfluchten Jahrmarktspiegel.
    »Hallo, Dieb.«
    So hatte mich schon lange niemand mehr genannt.
    Ich blinzelte die Tränen weg. Und erkannte die Silhouette. Ja, ich erkannte alles. Sogar die Pistole. Sie war nicht von irgendwelchen Einbrechern aus dem Probenraum geklaut worden, wie ich gedacht hatte.
    Das Merkwürdige war aber, dass ich keine Angst hatte. Im Gegenteil. Ich war auf einen Schlag total ruhig und sah nach unten auf die Ader.
    »Tu das nicht«, sagte die Stimme.
    Ich starrte auf meine Hand, sie war so ruhig wie die eines Taschendiebes. Das war meine Chance.
    »Ich erschieße dich.«
    »Das glaube ich nicht«, sagte ich. »Denn dann erfährst du nie, wo Irene ist.«
    »Gusto!«
    »Ich tue nur, was ich tun muss«, sagte ich und stach die Spritze ein. Traf. Hob den Daumen, um ihn oben auf den Kolben zu legen. »Und du kannst tun, was du tun musst.«
    Die Kirchenglocke begann wieder zu läuten.
    Harry saß im Schatten an der Wand. Das Licht der Straßenlaterne fiel durch die Fenster auf die Matratze. Er sah auf die Uhr. Neun. Noch drei Stunden bis zu seinem Flug. Die Schmerzen in seinem Hals waren unvermittelt stärker geworden. Wie die Wärme der Sonne, kurz bevor sie hinter einer Wolke verschwand. Aber bald würden sie verschwinden, bald würden seine Schmerzen überwunden sein. Harry wusste, wie es enden würde, enden musste, das war ebenso unausweichlich wie seine Rückkehr nach Oslo. Und er wusste, dass es der menschliche Drang nach Ordnung und kausalen Zusammenhängen gewesen war, der ihn dazu verleitet hatte, in all dem Wirrwarr eine Art Logik zu sehen. Weil der

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