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Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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er beim Eisschnelllauftraining in Valle Hovin, als der Junge sich noch dafür interessiert hatte. Talent hatte er durchaus gehabt. Oleg, der ihn geduldig, ja nachgiebig anlächelte, wenn Harry wieder einmal versprach, dass sie im Herbst oder Frühling nach London fahren würden, um Tottenham in der White Hart Lane spielen zu sehen. Manchmal hatte Oleg ihn sogar »Papa« genannt, wenn er müde war und die Konzentration verlor. Es war fast fünf Jahre her, dass er ihn zuletzt gesehen hatte, fünf Jahre, seit Rakel mit ihm aus Oslo weggezogen war, weg von den grausamen Erinnerungen an den Schneemann, weg von Harrys Welt voller Gewalt und Mord.
    Und jetzt stand er dort an der Tür, achtzehn Jahre alt, fast erwachsen, und sah Harry an, ohne mit der Wimper zu zucken. Jedenfalls konnte Harry keine Regung bei ihm erkennen.
    »Hallo«, sagte Harry leise, mit versagender Stimme. Verflucht! Der Junge musste ja glauben, dass er den Tränen nahe war. Um sich oder ihn abzulenken, holte er das Päckchen Camel aus der Tasche und steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen.
    Als er den Blick wieder hob, bemerkte er die Röte, die in Olegs Gesicht gestiegen war. Und die Wut. Die explosive Aufgebrachtheit, die einfach plötzlich da war, so dass man nur noch rotsah und die Adern an Hals und Schläfe dick wie Gitarrensaiten wurden.
    »Beruhige dich, ich mach die ja nicht an«, sagte Harry und nickte in Richtung des Rauchen-Verboten-Schildes an der Wand.
    »Es ist wegen Mama, oder?« Auch seine Stimme war älter geworden. Und rau vor Wut.
    »Was?«
    »Sie hat nach dir geschickt.«
    »Nein, das stimmt nicht, ich …«
    »Klar stimmt das.«
    »Nein, Oleg. Sie weiß nicht einmal, dass ich im Land bin.«
    »Du lügst. Du lügst doch wieder, wie immer!«
    Harry sah ihn überrascht an. »Wie immer?«
    »Wie du gelogen hast, als du gesagt hast, dass du immer für uns da bist und all den Scheiß. Aber jetzt ist es zu spät. Also geh zurück in … in die Hölle, aus der du hervorgekrochen bist!«
    »Oleg, hör mich an …«
    »Nein! Ich will dir nicht zuhören. Du hast hier nichts verloren! Du kannst nicht einfach hier auftauchen und Papa spielen, kapierst du das nicht?«
    Harry sah den Jungen schlucken. Dann wich die Wut in seinem Blick etwas zurück und machte einer neuen Welle Rot Platz.
    »Du existierst für uns nicht mehr. Du bist mal in unser Leben geschneit, warst ein paar Jahre da und bist dann«, Oleg versuchte, mit den Fingern zu schnippen, doch sie glitten nur tonlos übereinander, »wieder verschwunden.«
    »Das ist nicht wahr, Oleg. Und das weißt du.« Harry hörte seine eigene Stimme. Sie klang jetzt klar und sicher, signalisierte so etwas wie Ruhe und Geborgenheit, aber der Kloß in seinem Hals sprach eine ganz andere Sprache. Er war es gewohnt, bei Verhören verbal angegriffen zu werden, das machte ihm nichts aus, bestenfalls ließ ihn das nur noch ruhiger und analytischer werden. Aber bei diesem Jungen, bei Oleg … gegen ihn wusste er sich nicht zu wehren.
    Oleg lachte bitter. »Schauen wir mal, ob es noch immer funktioniert?« Er presste Mittelfinger und Daumen zusammen. »Verschwinde! … Jetzt!«
    Harry hob die Hände. »Oleg …«
    Oleg schüttelte den Kopf, während er an die Tür hinter sich klopfte und seinen nachtschwarzen Blick von Harry nahm. »Wärter! Der Besuch ist zu Ende. Bringen Sie mich hier raus!«
    Harry blieb noch ein paar Sekunden auf dem Stuhl sitzen, als Oleg gegangen war.
    Dann erhob er sich mühsam und stolperte hinaus in den Botsparken, der vom Sonnenlicht durchflutet wurde.
    Harry blieb stehen und sah zum Präsidium hinüber. Dachte nach. Dann ging er in Richtung Aufnahmegebäude. Auf halbem Weg blieb er wieder stehen, lehnte sich an einen Baum und kniff die Augen so fest zusammen, dass er spürte, wie das Wasser herausgepresst wurde. Verdammtes Licht. Verdammter Jetlag.
    Kapitel 5
    I ch will nur kurz einen Blick auf die Sachen werfen, ich nehme nichts mit, versprochen«, sagte Harry.
    Der Wachhabende an der Häftlingsaufnahme sah Harry zögernd an.
    »Komm schon, Tor, du kennst mich doch.«
    Nilsen räusperte sich. »Ja, schon, aber arbeitest du denn wieder hier?«
    Harry zuckte mit den Schultern.
    Nilsen legte den Kopf schief und ließ die Augenlider über die Augäpfel sinken, bis nur noch die Hälfte seiner Pupillen zu sehen war. Als wollte er seine Sinneseindrücke filtern. All das Unwichtige aussortieren. Was übrig blieb, schien für Harry zu sprechen.
    Nilsen räusperte sich laut,

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