Die Larve
ihre blauen Augen zum Weinen. Klar hätte ich sie gehen lassen können, ihr die Tür öffnen und sie fortschicken. Aber ich bin ein Dieb, und Diebe geben nicht freiwillig her, was irgendwann einmal von Nutzen für sie sein könnte. Irene gehörte mir, und die zwei Millionen pro Woche dem Alten.
Es ist merkwürdig, wie sechstausend pro Tag Beine bekommen können, wenn man Crystal Meth wie Eiswürfel in seinem Drink nimmt und auf Kleider steht, die man nicht in jedem x-beliebigen Kaufhaus kriegt. Deshalb wohnte ich noch immer in dem Probenraum, gemeinsam mit Irene, sie schlief auf einer Matratze hinter den Trommeln. Aber sie kam zurecht, rührte nicht mal einen Joint an, aß ihre vegetarische Scheiße und eröffnete sogar ein Bankkonto. Oleg wohnte zu Hause bei seiner Mutter und schwamm sicher im Geld. Er begann wieder sein Streberleben zu führen, lernte zwischendurch und zog in Valle Hovin sogar hin und wieder seine Runden.
Während ich dort auf der Skippergata stand und Zahlen im Kopf hin und her drehte, kam eine seltsame Gestalt durch den Regen auf mich zugelaufen. Mit beschlagener Brille, dünnen, auf der Kopfhaut klebenden Haaren und mit einer Art Allwetterjacke, die seine feiste, hässliche Lebensgefährtin bestimmt gleich im Doppelpack gekauft hatte, damit sie im Partnerlook gehen konnten. Wenn er denn überhaupt eine Lebensgefährtin hatte, denn er hinkte übelst. Bestimmt gibt es weniger krasse Worte dafür, aber für mich ist ein Klumpfuß ein Klumpfuß. Aber ich benutze ja auch Worte wie manischdepressiv oder Neger.
Auf jeden Fall blieb dieser Typ vor mir stehen.
Ich wunderte mich schon lange nicht mehr darüber, wer alles Heroin kaufte, aber dieser Mann gehörte definitiv nicht zu der üblichen Kategorie Junkie.
»Wie viel …«
»Dreihundertfünfzig für ein Viertelgramm.«
»… zahlt ihr für ein Gramm Heroin?«
»Zahlen? Äh, fuck , Mann. Wir verkaufen hier.«
»Ich weiß, ich mache nur ein bisschen research .«
Ich sah ihn an. War das ein Journalist? Ein Streetworker? Oder ein Politiker? Als ich noch für Odin und Tutu gearbeitet habe, war auch mal so ein Typ zu mir gekommen und hatte vorgegeben, für irgendein städtisches Komitee mit Namen RUNO zu arbeiten. Schließlich hat er mich sogar höflich gefragt, ob ich nicht mal zu einer Komitee-Sitzung zum Thema »Jugend und Drogen« kommen könnte. Sie würden gerne echte »Stimmen von der Straße« hören. Ich bin zum Spaß wirklich mal hingegangen und hörte sie über ECAD labern und den großen, internationalen Plan für ein Europa ohne Drogen. Ich bekam Limo und Brötchen und hab mir vor Lachen echt fast in die Hose gemacht. Aber die Sitzung wurde von so einer MILF geleitet, vulgärblond, mit männlichen Zügen, Riesenmöpsen und Kommandostimme. Einen Moment lang fragte ich mich, ob sie noch mehr hatte operieren lassen als nur ihre Brüste. Nach der Sitzung kam sie zu mir, stellte sich als Sekretärin der städtischen Arbeitsgruppe für soziale Dienste und Drogenfürsorge vor, sagte, sie würde gerne mit mir noch länger über diese Dinge reden, und fragte dann, ob ich nicht »bei Gelegenheit« einmal bei ihr zu Hause vorbeischauen könnte. Irgendwann stellte sich dann raus, dass sie bloß eine MILF ohne M war. Sie wohnte nämlich allein auf einem Hof, trug enge Reithosen, als sie mir die Tür öffnete, und verlangte, es im Stall zu machen. Sollten sie bei der wirklich einen Schwanz wegoperiert haben, haben sie echt gute Arbeit geleistet. Für mich war das okay. Unten herum war die top in Ordnung, ihre Melkmaschine funktionierte wie das reinste Unwetter. Trotzdem ist es irgendwie seltsam, eine Frau zu vögeln, die wie ein Modellflugzeug kreischt, und das keine zwei Meter von dicken, vor sich hin kauenden Pferden entfernt, die dabei gelangweilt zuschauen. Anschließend zog ich mir das Heu aus der Kimme und fragte sie, ob sie mir einen Tausender leihen könnte. Bis ich schließlich sechstausend am Tag verdiente, trafen wir uns immer wieder. Zwischen dem Vögeln hat sie mir irgendwann auch gesteckt, dass man als Sekretärin einer politischen Arbeitsgruppe nicht von irgendeinem Chef etwas diktiert bekam, sondern handfeste Politik betrieb. Dass sie es war, die die Dinge am Laufen hielt, auch wenn sie jetzt noch eine Sklavin war. Doch sollten den richtigen Leuten endlich die Augen aufgehen, würde ihr nach der nächsten Wahl ein Senatsamt angetragen werden. Was ich aus ihren Geschichten aus dem Rathaus gelernt habe, war, dass alle Politiker –
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