Die Larve
Skøyen. Ich möchte Ihnen nur aufzeigen, dass wir in bestimmten Punkten gemeinsame Interessen haben, danach überlasse ich es Ihnen, das zu tun, was ich für richtig halte.«
»Ich soll tun, was Sie für richtig halten?«
»Der Senat steht doch unter Druck. Schon vor den bedauerlichen Entwicklungen der letzten Monate hat sich der Senat das Ziel gesetzt, Oslo wieder von der Liste der desaströsesten Drogenstädte Europas zu streichen. Der Drogenumsatz sollte gesenkt werden, es sollten weniger junge Menschen abhängig werden, und vor allem sollte es weniger Überdosistote geben. Im Moment scheinen diese Ziele in sehr weite Ferne gerückt, oder wie sehen Sie das, Frau Skøyen?«
Sie antwortete nicht.
»Was wir im Moment brauchen, ist ein Held oder eine Heldin, die von Grund auf aufräumt.«
Sie nickte langsam.
»Die mit den Gangs und Drogenbanden kurzen Prozess macht.«
Isabelle schnaubte. »Richtig, aber das hat man schon in allen möglichen anderen europäischen Großstädten versucht, mit dem Ergebnis, dass immer wieder neue Banden wie Unkraut aus dem Boden schießen. Wo es eine Nachfrage gibt, wird es immer auch ein Angebot geben.«
»Genau«, sagte er. »Exakt wie Unkraut. Ich habe gesehen, dass Sie da draußen ein Erdbeerfeld haben. Arbeiten Sie mit Bodendeckern?«
»Ja, mit Klee.«
»Ich kann Ihnen so etwas wie einen Bodendecker anbieten«, sagte der Alte. »Klee in Arsenal-Trikots.«
Als ihr Blick sich auf ihn heftete, sah ich die Gier in ihrem Hirn unter Hochdruck arbeiten. Der Alte wirkte zufrieden.
»Bodendecker, lieber Gusto«, sagte er und trank einen Schluck Kaffee. »Das ist Unkraut, das man pflanzt und ungehindert wachsen lässt, um so zu verhindern, dass anderes Unkraut aufkommt. Ganz einfach, weil Klee die weniger schlechte Alternative ist. Verstehst du?«
»Ich glaube schon«, sagte ich. »Wo ohnehin Unkraut wächst, ist es besser, einem Unkraut auf den Weg zu helfen, das die Erdbeeren nicht kaputtmacht.«
»Genau. Und in unserer kleinen Analogie ist die Vision des Senats von einem sauberen Oslo die Erdbeere, während all die Gangs, die lebensgefährliches Heroin verkaufen und für die Anarchie in Oslos Straßen sorgen, das Unkraut sind. Wir und das Violin hingegen sind der Bodendecker.«
»Und wie …?«, sagte Isabelle.
»Erst müssen Sie all das Unkraut beseitigen, also alles, was kein Klee ist. Und dann müssen Sie den Klee in Ruhe wachsen lassen.«
»Und was ist am Klee so viel besser?«, fragte sie.
»Wir erschießen niemanden. Wir operieren diskret. Wir verkaufen einen Stoff, bei dem es so gut wie keine Überdosis-Toten gibt. Außerdem hilft uns das Monopol auf dem Erdbeerfeld, die Preise so in die Höhe zu treiben, dass die Zahl der Abhängigen sinkt und nicht so viele Junge neu hinzukommen. Natürlich ohne dass unser Profit sinkt, das möchte ich hier betonen. Weniger Drogenabhängige und weniger Dealer, die Junkies werden nicht mehr jeden Park und jede Straße im Zentrum bevölkern. Mit anderen Worten: Oslo wird eine Freude für alle Touristen, Politiker und Wähler sein.«
»Ich bin ja nicht die Sozialsenatorin.«
»Noch nicht, gute Frau. Aber das Unkrautzupfen ist auch nichts für Senatoren. Dafür haben die doch ihre Sekretäre. Sie sind es doch, die Tag für Tag mit ihren kleinen Entscheidungen den Weg vorgeben, das, was tatsächlich geschieht. Natürlich folgen Sie der Linie des Senats, trotzdem sind Sie diejenige, die jeden Tag mit der Polizei in Kontakt ist und darüber diskutiert, welche Maßnahmen man beispielsweise in Kvadraturen durchführt. Sie müssen dafür natürlich etwas aus dem Schatten heraustreten, aber ich denke, dass Ihnen das durchaus liegt. Ein kleines Interview über die Drogenpolitik hier, eine Bemerkung über die Überdosis-Zahlen dort. Und schon wissen Ihre Parteigenossen wie auch die Presse, wer in Wahrheit die treibende Kraft hinter …« Er grinste sein Komodowaran-Lächeln. »… dem Bauern mit den größten Erdbeeren ist.«
Alle saßen still da. Sogar die Fliege, die ihre Fluchtversuche aufgegeben hatte, nachdem sie den Zucker entdeckt hatte.
»Dieses Gespräch hat selbstverständlich nie stattgefunden«, sagte Isabelle.
»Natürlich nicht.«
»Wir sind uns nie begegnet.«
»Schade, aber wahr, Frau Skøyen.«
»Und wie haben Sie sich das vorgestellt? Wie sollen wir diese Leute … von der Straße kriegen?«
»Da können wir sicher ein bisschen helfen. In dieser Branche hat es schon Tradition, sich durch gezielte Informationen
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