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Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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kaputte Gardinenstange lehnte am Fensterrahmen. Ihre tulpenförmige Silhouette zeichnete sich vor der Wand ab. Er stand auf, ging ans Fenster und sah nach unten in den Hinterhof. Ein Mülleimer rollte scheppernd über den Asphalt. Er lehnte die Stirn an die kalte Fensterscheibe.
    Kapitel 22
    E s war früh, und der morgendliche Verkehr schlich flüsternd über den Grønlandsleiret, als Truls zum Eingang des Präsidiums ging. Das rote Plakat hing wieder an der Linde, er registrierte es, noch bevor er die Tür mit den seltsamen Bullaugen erreichte, machte kehrt und ging ruhig wieder zurück. Vorbei an der zähen Blechlawine auf der Oslo gate in Richtung Friedhof.
    Um diese Uhrzeit war es auf dem Friedhof in der Regel menschenleer. Jedenfalls, was die Lebenden anging. Er blieb vor dem Grabstein von A. C. Rud stehen, fand aber keine Nachricht, also musste wohl Zahltag sein.
    Er hockte sich hin und grub dicht am Stein mit den Händen in der Erde, bis er den braunen Briefumschlag zwischen den Fingern spürte und herauszog. Er widerstand der Verlockung, ihn zu öffnen und auf der Stelle die Scheine zu zählen. Als er den Umschlag in die Jackentasche schob und aufstehen wollte, hatte er plötzlich das Gefühl, beobachtet zu werden, weshalb er noch ein paar Sekunden im stillen Gedenken an A. C. Rud und die Vergänglichkeit des Lebens hocken blieb.
    »Bleiben Sie unten, Berntsen.«
    Ein Schatten fiel auf ihn. Und mit ihm eine Kälte, als wäre die Sonne hinter einer Wolke verschwunden. Truls Berntsen fühlte sich wie im freien Fall, sein Magen stieg ihm in den Hals. So sollte er also entlarvt werden.
    »Wir haben dieses Mal einen anderen Job für Sie.«
    Plötzlich hatte Truls wieder festen Boden unter den Füßen. Er erkannte die Stimme. Den leichten Akzent. Das war er. Truls blickte kurz zu der Gestalt hinüber, die zwei Gräber von ihm entfernt in ein stilles Gebet versunken zu sein schien.
    »Gucken Sie nach vorn! Ihre Aufgabe ist es, Oleg Faukes Aufenthaltsort herauszufinden. Wo wird er versteckt?«
    Truls starrte auf den Grabstein vor sich.
    »Das habe ich schon versucht«, sagte Truls. »Aber die Verlegung ist nirgendwo registriert worden. Jedenfalls an keinem Ort, zu dem ich Zugang habe. Und diejenigen, mit denen ich gesprochen habe, hatten nie von dem Typ gehört. Vermutlich haben sie ihm einen Decknamen gegeben.«
    »Dann reden Sie mit den Leuten, die etwas wissen. Zum Beispiel seinem Anwalt, diesem Simonsen.«
    »Warum nicht mit der Mutter? Sie muss doch …«
    »Keine Frauen!« Die Worte zischten nur so zu ihm herüber. Wären sie nicht allein auf dem Friedhof gewesen, hätten sie spätestens jetzt Aufmerksamkeit erregt. Dann, wieder ruhiger: »Versuchen Sie es bei diesem Anwalt, und wenn das auch nichts bringt …«
    Der Mann machte eine Pause, und Berntsen hörte den Wind in den Kronen der Bäume rauschen. Bestimmt war ihm deshalb plötzlich so kalt.
    »… gehen Sie zu einem Typ namens Chris Reddy«, fuhr die Stimme fort. »Auf der Straße nennt man ihn Adidas. Er dealt …«
    »Speed. Adidas bedeutet Amphe…«
    »Halten Sie Ihren Mund, Berntsen. Sie sollen einfach nur zuhören.«
    Truls hielt den Mund und hörte zu. Wie er immer den Mund gehalten hatte, wenn jemand mit ihm in diesem Ton gesprochen und ihm aufgetragen hatte, Scheiße zu schaufeln und …
    Die Stimme nannte ihm eine Adresse.
    »Ihnen ist das Gerücht zu Ohren gekommen, dass Adidas öffentlich damit prahlt, Gusto Hanssen erschossen zu haben. Sie holen ihn zum Verhör, und er wird dabei vorbehaltlos ein volles Geständnis ablegen. Die Details überlasse ich Ihnen, es muss aber alles stimmig sein, hundert Prozent glaubwürdig. Zuerst versuchen Sie aber, Simonsen zum Reden zu bringen, verstanden?«
    »Ja, aber warum sollte Adidas …?«
    »Warum ist nicht Ihr Problem, Berntsen. Ihre einzige Frage sollte lauten ›wie viel‹?«
    Truls Berntsen schluckte, wieder und wieder. Scheiße schaufeln. Scheiße fressen. »Wie viel?«
    »So, ja. Sechzigtausend.«
    »Hunderttausend.«
    Keine Antwort.
    »Hallo?«
    Aber alles, was er hörte, war das Flüstern des morgendlichen Verkehrs.
    Berntsen saß still da und blickte erst nach einer Weile vorsichtig zur Seite. Es war niemand da. Dafür begann die Sonne aber wieder zu wärmen. Und sechzigtausend waren ja ganz in Ordnung.
    Am Boden klebten noch letzte Nebelreste, als Harry um zehn Uhr morgens vor dem Hauptgebäude des Skøyen Hofs vorfuhr. Isabelle Skøyen stand lächelnd auf der Treppe und schlug mit einer

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