Die Larve
kurzen Gerte gegen ihre schwarze Reithose. Als Harry ausstieg, hörte er den Kies unter ihren Stiefeln knirschen.
»Guten Morgen, Harry. Kennen Sie sich mit Pferden aus?«
Harry warf die Autotür zu. »Ich habe eine Menge Geld damit verloren, sagt das genug?«
»Dann sind Sie auch ein Spieler?«
»Auch?«
»Auch ich habe mich ein bisschen umgehört und meine Hausaufgaben gemacht. Ihre Erfolge werden durch Ihre Laster so ziemlich ausgeglichen. Das scheinen jedenfalls Ihre Kollegen zu meinen. Haben Sie das Geld in Hongkong verloren?«
»Happy-Valley-Rennbahn. Ein einmaliger Ausrutscher.«
Sie ging auf ein niedriges, rotes Holzgebäude zu, und er musste kräftig ausholen, um mit ihr Schritt zu halten. »Sind Sie jemals geritten, Harry?«
»Mein Großvater hatte so ein dickes Kaltblut, oben in Åndalsnes.«
»Nun, dann sind Sie ja ein routinierter Reiter.«
»Das war eher auch wieder so ein Ausrutscher. Mein Großvater war der Meinung, Pferde seien keine Spielzeuge, dass man nicht genug Respekt vor dem Arbeitstier zeige, wenn man nur zum Spaß ritt.«
Sie blieb vor einem Holzgestell mit schmalen Ledersatteln stehen. »Nicht ein einziges meiner Pferde war jemals auch nur in der Nähe eines Pflugs oder eines Karrens. Während ich die Pferde sattele, können Sie drüben ins Wohnhaus gehen …« Sie zeigte zu dem anderen Gebäude hinüber. »Im Flur steht ein Schrank, in dem sie passende Kleider finden sollten. Die stammen noch von meinem Exmann. Wir wollen Ihren schönen Anzug doch nicht ruinieren, nicht wahr?«
Harry fand einen Pullover und eine Jeans, die tatsächlich lang genug war. Die Füße ihres Ex mussten aber deutlich kleiner gewesen sein, denn nicht ein Paar Schuhe passte. Ganz hinten im Schrank fand er dann aber doch noch reichlich getragene, blaue Joggingschuhe, wie man sie beim Militär trug.
Als er wieder auf den Hofplatz kam, wartete Isabelle bereits mit zwei gesattelten Pferden. Harry öffnete die Beifahrertür seines Leihwagens, setzte sich seitlich hinein und zog sich die Schuhe aus. Bevor er die Joggingschuhe anzog, nahm er die Sohlen heraus, legte sie auf den Boden des Wagens und nahm eine Sonnenbrille aus dem Handschuhfach. »Ich bin dann so weit.«
»Das ist Medusa«, sagte Isabelle und streichelte über die Nüstern eines großen Fuchs. »Sie ist eine Oldenburgerin aus Dänemark, die ideale Rasse für das Springreiten. Zehn Jahre und der Chef im Ring. Und das ist Balder. Er ist fünf Jahre alt. Ein Wallach, der läuft also ganz von allein hinter Medusa her.«
Sie reichte ihm die Zügel des etwas kleineren Wallachs und schwang sich in den Sattel von Medusa.
Harry kopierte sie. Stellte den linken Fuß in den Steigbügel und hob sich in den Sattel. Ohne auf ein Kommando zu warten, begann das Pferd hinter Medusa herzulaufen.
Harry hatte untertrieben, als er vorgegeben hatte, erst ein einziges Mal geritten zu sein, trotzdem war es etwas ganz anderes gewesen, das ruhige, stoische Hangarschiff von einem Ackergaul zu reiten. Er musste auf dem Sattel balancieren, und bei jedem Druck mit den Knien gegen den Körper spürte er das Muskelspiel und die Rippen des schlanken Pferds. Als Medusa das Tempo auf dem schmalen Feldweg anzog und Balder ihrem Vorbild folgte, erkannte Harry, dass er das reinste Formel-1-Tier zwischen den Beinen hatte. Am Ende des Feldes gelangten sie auf einen Weg, der durch den Wald bergauf führte. An einer Stelle, an der in der Mitte des Weges ein Baum stand, versuchte Harry, Balder nach links zu dirigieren, doch das Pferd ignorierte ihn und folgte Medusas Hufspuren rechts am Baum vorbei.
»Ich dachte, die Herden würden immer von Hengsten angeführt?«, sagte Harry.
»Das ist in der Regel auch so«, sagte Isabelle über die Schulter hinweg. »Eigentlich kommt es aber nur auf den Charakter an. Auch eine starke, ambitionierte Stute kann sich durchsetzen, wenn sie das will.«
»Und Sie wollen das?«
Isabelle Skøyen lachte: »Natürlich. Will man etwas erreichen, muss man das auch wollen. Bei der Politik geht es darum, sich Macht zu verschaffen, und als Politiker muss man natürlich bereit sein, mit anderen zu konkurrieren.«
»Mögen Sie Konkurrenz?«
Er sah sie vor sich mit den Schultern zucken. »Konkurrenz ist gesund. Sie führt dazu, dass nur der Stärkste und Beste was zu sagen hat, und das ist für die ganze Herde von Vorteil.«
»Und der darf sich dann auch mit allen paaren?«
Sie antwortete nicht. Harry musterte sie. Ihr Rücken war geschmeidig, und ihre
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