Die Last der Schuld
hatte fast ein Loch in den Teppich des Warteraums gerannt.
Caleb war vor wenigen Minuten verschwunden, und Lana versuchte verzweifelt, nicht durchzudrehen. Seit er heute Morgen auf sie zugekommen war und ihren Namen gerufen hatte, als hätte er Angst, ihr wäre etwas zugestoÃen, war sie ihm unendlich dankbar, dass er sich erneut in ihr Leben gedrängt hatte. Sie konnte sich nicht vorstellen, diese Situation allein durchzustehen, und ihre Familie würde sie auf keinen Fall anrufen. Nicht nach dem, was mit Stacie heute Morgen passiert war. Dass dieser Ãberfall so kurz nach Calebs Auftauchen geschah, konnte kein Zufall sein. Wer auch immer Calebs Männern in Armenien entwischt war, musste sie gefunden haben. Es war einfach das Sicherste, die Menschen, die sie liebte, auf Abstand zu halten.
Caleb kehrte mit einem Becher heiÃem Kaffee und einer Tüte Käsecrackern aus dem Automaten zurück. Er versuchte gar nicht erst, sie zu überreden, sich hinzusetzen oder sich zu beruhigen, wie ihre Mutter es getan hätte. Er lieà sie ihre Unruhe abmarschieren, ohne sie für ihr Gezappel zu rügen.
Lana nahm den Kaffee entgegen, doch die Cracker lehnte sie ab. »Danke!«
»Kann ich dir sonst irgendwas zu essen holen? Sorgen und Kaffee auf leeren Magen sind keine gute Option.«
»Vielleicht später.«
Caleb nickte. Er stellte keine albernen Fragen wie zum Beispiel, ob es ihr gut ging. Er war einfach nur da, ruhig und stark und bereit, sie zu unterstützen, in welcher Weise auch immer.
Diese Geste bedeutete ihr so viel, dass sie fast erneut in Tränen ausbrach.
Caleb kannte sie nicht einmal, doch er schien genau zu wissen, was sie brauchte. Andererseits war das in seinem Berufsfeld vermutlich reine Routine.
Auf dem Weg zum Krankenhaus hatte er sich ein sauberes T-Shirt aus dem Kofferraum seines Wagens geholt und seinen nackten Oberkörper bedeckt. Lana trug immer noch sein T-Shirt, das ihr zwar viel zu groà war, aber zumindest verhinderte, dass sie sich zum Stadtgespräch machte. Der Geruch seiner Haut begleitete sie bei jedem Schritt und half ihr, einen Teil ihrer Spannung abzubauen.
Caleb setzte sich hin und sah zu, wie sie unruhig auf und ab ging. Nach einer Weile war sie endlich bereit, sich ein wenig auszuruhen. Sie setzte sich neben ihn und nippte an ihrem Kaffee. Caleb legte einen Arm auf die Rückenlehne ihres Stuhls, ohne sie zu berühren â er bot ihr stillen Rückhalt, ohne sich aufzuzwingen. Lana konnte sich anlehnen und seine Berührung zulassen oder aufrecht sitzen bleiben und sicher sein, dass er sie nicht bedrängen würde.
Sie wollte sich seiner Umarmung entgegenlehnen. Es kümmerte sie nicht einmal, dass sie dadurch Schwäche zeigte, weil sie seine Berührung brauchte. Sie war eindeutig an ihre Grenzen gestoÃen und musste alles dafür tun, um Stacie gegenüber stark zu bleiben, auch wenn dies bedeutete, Trost bei einem Mann suchen zu müssen, von dem sie sich hätte distanzieren sollen.
Sie verharrten schweigend nebeneinander â sein starker Arm beruhigend nah, ihr Körper vor Unentschlossenheit erstarrt. Caleb verlangte nichts von ihr, er drängte sie nicht. Er gab ihr nur die Möglichkeit, sich das zu nehmen, was sie brauchte.
»Oh Gott!«, heulte eine Frauenstimme, die Lana zusammenzucken lieÃ. Sie wandte sich um in der Hoffnung, die Person, die da gerade ins Wartezimmer gesegelt kam, möge nicht ihre Mutter sein.
Fehlanzeige.
Madeline Hancock stürzte quer durch den Raum auf ihre Tochter zu. Die Wimperntusche hatte ihr dunkle Striemen auf die Wangen gezeichnet. Obwohl sie bereits über fünfzig war, besaà ihr Haar nur wenige graue Strähnen und ihre Haut glich der einer Fünfundzwanzigjährigen. Doch Madeline brach bei jeder Kleinigkeit in Tränen aus. Das war schon immer so gewesen, und jedes Mal, wenn Lana weinte, hatte sie das Gefühl, ihrer Mutter ein wenig ähnlicher zu werden. Die Vorstellung weckte in ihr das Bedürfnis, sich die Tränenkanäle operativ schlieÃen zu lassen.
»Baby, ist alles in Ordnung?«, fragte Madeline. »Du bist ja blutverschmiert.«
Lana zog es vor, lieber nicht darauf einzugehen, wie das Blut dort hingekommen war. Das hätte die Sache nur noch verschlimmert. »Mir gehtâs gut, Mom. Es ist nicht mein Blut. Was machst du hier?«
»Die Sache war groà in den Nachrichten. Es hieÃ, es wurde auf jemanden
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