Die Laufmasche
Silvesterball«, sagte Beate begeistert. »Da gehen wir gleich nach Feierabend hin!«
Schnepper Kostümverleih war ein großer Laden mit bräutlich verschleierten Blondinen und Mädchenpuppen in Kommunionkleidern im Schaufenster. Freiwillig wäre ich dort nicht hineingegangen, aber Beate zog mich mit Gewalt durch die Eingangstür.
Im Erdgeschoss wurden Braut- und Festmoden verliehen. Die Kostüme waren im Keller untergebracht. Eine ältere Verkäuferin schritt vor uns her die Treppe hinunter und knipste das Licht an. Die Kostüme hingen auf langen Kleiderstangen in Reihen. Es roch ziemlich muffig.
»Jetzt ist einfach noch keine Saison für Kostüme«, sagte die Verkäuferin entschuldigend.
»Das hier sind die Nonnen und Mönche. Die werden sehr gern von Gruppen genommen.«
»Und passen auch noch im neunten Monat«, raunte Beate. »Wir wollen was Figurbetontes.«
»Hier sind unsere Musketiere, die Flickenclowns und die Funkenmariechen«, fuhr die Verkäuferin fort. »Die historischen Kostüme hängen dort drüben.«
Wir stürzten sofort nach dort drüben. Auf dem bezeichneten Kleiderständer hingen eine Menge dunkler Lappen.
»Was ist das?«, fragte Beate, und die Enttäuschung stand ihr ins Gesicht geschrieben.
»Das sind unsere historischen Kostüme«, wiederholte die Verkäuferin. »Burgfräuleins für die Dame, Ritter für den Herrn.«
Ich holte ein Burgfräuleinkostüm vom Kleiderbü-
gel. Es bestand aus einem formlosen braunen Filzmieder über einer weißen Dirndlbluse und einem schlaffen schwarzen Baumwollrock. Ganz klar mehr Burgstall- melkmagd als Burgfräulein. Unter historischen Kostümen hatte ich mir etwas anderes vorgestellt. Kleider wie aus dem Opernfundus, schwere, raschelnde Seidenröcke, bestickter Brokat und authentisch geschnürte Mieder, die tiefe Einblicke gewährten wie zu Zeiten Ludwigs XIV.
»Ist das alles?«, fragte ich.
»Dazu kommt natürlich noch eine
Kopfbedeckung.«
Die Verkäuferin hielt mir eine Haube hin, die aussah wie die Schlafzimmerlampe meiner Oma.
»Nein«, sagte ich und schüttelte den Kopf. »Ich hatte mir etwas anderes vorgestellt.«
Die Verkäuferin führte uns wortlos ein Kellergewölbe weiter. Auch hier wieder Kleiderstangen, soweit das Auge reichte.
»Das hier sind unsere Rokokokostüme«, erklärte sie stolz. Rokoko, na bitte! Das war auch historisch.
Ich sah mich schon in einem Marie-Antoinette-Kleid mit Schönheitspflästerchen und weiß gepuderten Haaren an einem Fächer aus Elfenbein knabbern.
Aber bei näherer Betrachtung entpuppten sich die Rokokokleider als nicht mal annähernd Marie-Antoinette- mäßig. Es waren ganz einfach umgearbeitete ausgediente Brautkleider von der Etage drüber, nach Größen
sortiert und über viele Brautkleidgenerationen hinweg gesammelt. Sie waren lediglich mit buntem Tüll und glitzernden Litzen etwas verfremdet und sahen genauso aus wie die Prinzessinnenkleider kleiner Mädchen. Trotzdem - ich fühlte mich magisch von ihnen angezogen. Beate schien es genauso zu gehen.
»Ich wollte immer mal so ein richtiges Hochzeitskleid anprobieren«, sagte sie und fügte entschuldigend hinzu: »Ich habe in Mini geheiratet.
Das war damals modern.«
»Oh«, sagte ich und holte ein Brautkleid mit himmelblauem Tüll und Schleifen von der Stange.
Es hatte eine lang verdrängte Erinnerung in mir geweckt. An Karneval hatte ich immer eine Prinzessin sein wollen. Alle Mädchen in meiner Klasse wurden wenigstens einmal im Leben Prinzessin. Sie trugen so hübsche kleine Krönchen auf dem Kopf. Und wenn sie umhergingen, raschelten und schwangen ihre langen Kleider um sie herum. Natalie Hoppe war immer Prinzessin geworden. Karneval war die einzige Zeit, in der ich vor ihrer Nachmacherei Ruhe hatte. Ich wurde von meiner Mutter als zünftiger Clown oder Schornsteinfeger kostümiert, und weder Natalie noch ihre Mutter fanden eine solche Verkleidung für Natalie angemessen. Ihre Prinzessinnenkleider wurden jedes Jahr neu von einer Schneiderin gefertigt.
Das Brautkleid in meiner Hand sah ganz genauso aus wie das Kleid, das Natalie als Schneekönigin getragen hatte.
»Wenigstens eins könnten wir ja mal
anprobieren«, schlug ich vor. »Die sind so scheußlich, dass sie schon fast wieder schön sind.«
Ich schlüpfte zuerst in das
Schneeköniginnenkleid. Die Verkäuferin zog mir den Reißverschluss zu und band eine riesige Tüllschleife auf meinem Rücken. Ich eilte vor den Spiegel.
»So doch nicht.« Die Verkäuferin lächelte
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