Die Laufmasche
Mann nebenan an der Strippe.«
»Welchen Mann?«, fragte ich und warf Beate einen verzweifelten Blick zu. Sie verdrehte bloß die Augen.
Kernig fand, was er gesucht hatte. Er klemmte sich einen blauen Ordner unter den Arm und verließ den Raum, ohne die Türe hinter sich zu schließen.
»Wirklich«, murmelte er dabei säuerlich vor sich hin.
»Alles muss man selber machen.«
»Schönen guten Morgen auch«, rief Beate hinter ihm her.
»Ich wollte ihm so gerne erzählen, wie ich gestern den dicken Auftrag gerettet habe«, sagte ich zu ihr.
»Vergiss es«, meinte Beate. »Der wird dich niemals für irgendetwas loben. Wenn du Lob brauchst, lob dich selber, hab' ich doch schon mal gesagt!«
Ich war geknickt. Aber es sollte noch schlimmer kommen.
Am frühen Nachmittag quäkte Kernigs Stimme durch das Stentofon. »Frau Trost, kommen Sie mal zu mir.«
Ich ließ sofort alles stehen und liegen und sprang auf.
»Wenigstens bitte könnte er ja sagen«, murrte Beate.
Ich rannte nach nebenan.
»Hier bin ich«, sagte ich und lächelte Kernig an.
»Das sehe ich«, entgegnete er mürrisch. »Ich habe da was mit Ihnen zu besprechen, wegen der Kunden, die Sie gestern betreut haben.«
Also doch. Das hatte ich so gut geregelt, da kam selbst Kernig an einem Lob nicht vorbei! Da er mir keinen Platz anbot, blieb ich erwartungsfroh vor seinem Schreibtisch stehen.
»Ich habe gehört, da hat es Probleme gegeben«, sagte Kernig und kramte in seinen Papieren herum.
»Ja, aber die habe ich alle gelöst, Herr Kernig«, trompetete ich unbescheiden. »Der Kunde hat einen dicken Auftrag für nächsten Monat angekündigt.«
Und das ist alles mein Verdienst, Klausi-Mausi, ist das nicht toll?
Kernig hob kurz den Blick.
»Man hat sich über Sie beschwert«, bemerkte er tonlos.
Ich war völlig überrascht. »Worüber? Wer? In welchem Zusammenhang?«
»Ich will keine Namen nennen«, meinte Kernig.
»Aber es heißt ganz allgemein, dass Sie Ihre Kompetenzen überschreiten und sich nicht an die Regeln des Hauses halten.«
»Ich? Aber wobei denn?«
»Ich möchte da gar nicht lange draufrumreiten«, erklärte Kernig. »Halten Sie sich zukünftig einfach an Ihre Anweisungen. Das war es auch schon.«
Er drückte die Tasten seines Stentofons nieder.
»Reisdorf! Ich brauche die Akten von Pferdeglück in Karlsruhe.«
»Aber -« Ich war völlig perplex. »Ich hatte die Aufgabe, uns den Kunden zu erhalten - und der war echt sauer, das können Sie mir glauben. Ich musste sehr, sehr diplomatisch sein, um ihn überhaupt bei der Stange zu
halten. Der nächste Auftrag wäre sonst an die Konkurrenz gegangen. Wer hat sich über mich beschwert? Und warum?«
»Nun, jetzt lassen Sie es doch gut sein«, sagte Kernig. »Jeder macht mal einen Fehler, besonders als Anfänger. Hauptsache, Sie lernen daraus.«
»Ich kann nur aus einem Fehler lernen, wenn ich weiß, was ich überhaupt falsch gemacht habe«, erklärte ich zunehmend wütend.
Die nette Anja Reisdorf, die die Ablage machte, kam mit zwei Aktenordnern zur Tür herein. »Hier sind die Unterlagen von Pferdeglück Karlsruhe«, sagte sie und lächelte mir zu.
Kernig knurrte etwas Unverständliches zum Dank.
Hastig schlug er einen der Ordner auf. »Da können wir ein anderes Mal drüber reden, Frau Trost.«
Anja Reisdorf verschwand so lautlos, wie sie gekommen war. Aber ich wollte noch nicht gehen.
»Wer hat gesagt, ich überschreite meine Kompetenzen? Und in welchem Zusammenhang?«, fragte ich laut.
»Wenn Sie es denn unbedingt wissen müssen«, seufzte Kernig. »Es war Frau Stattelmann, die sich über Ihr eigenmächtiges Vorgehen beschwert hat.
Aber ich habe ihr auch gleich erklärt, dass Sie sich noch nicht so gut mit den Gepflogenheiten des Hauses auskennen.«
Ich platzte beinahe vor Wut.
»Hat Frau Stattelmann Ihnen den Sachverhalt denn auch genau auseinander gesetzt?«, wollte ich wissen. »Das war nämlich so -«
Kernig hob abwehrend seine Hände.
»Bitte«, unterbrach er mich. »Das ist doch wirklich kindisch. Haben Sie denn nichts zu tun?«
»Haben Sie das auch zu der Stattelmann gesagt?«, rief
ich. »Wenn Sie mich kritisieren, müssen Sie mir auch die Gelegenheit geben, meine Sicht der Dinge darzulegen. Ich bin nämlich absolut im Recht. Ich habe nur zum Vorteil der Firma gehandelt. Wenn es nach Frau Stattelmann gegangen wäre, hätten wir den Kunden verloren.«
Kernig stöhnte. Er presste seine Finger auf die Tasten seines Stentofons.
»Reisdorf«, fauchte er hinein.
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