Die Launen des Teufels
Hand wieder hervor, um die Suche auf der rechten Seite fortzusetzen. Dort, eingebettet in drahtigem Haar, stieß er keuchend vor Grauen auf eine noch größere Schwellung, die unter seinen Fingern zu pulsieren schien. Stöhnend sank er zurück in das verfaulte Stroh und ließ die Erschöpfung über sich hinweg spülen, während sein Verstand langsam aber sicher die Bedeutung dieser Symptome verarbeitete. Er hatte die Pest! All die Wochen, in denen zahllose Menschen in der Stadt der Seuche erlegen waren, hatte ihn die Plage verschont – nur um ihn jetzt an diesem furchtbaren Ort zu ereilen! Ein Hustenanfall ließ ihn um Atem ringen. Was er für die Vorboten einer harmlosen Erkältung gehalten hatte, waren in Wirklichkeit die unverkennbaren Anzeichen des nahenden Todes! Ohne Vorwarnung übermannte ihn eine solche Woge der brennenden Hitze, dass er verzweifelt an Kragen und Gürtel zerrte, um sich der Kleider wieder zu entledigen, die ihm mit jedem Ausatmen mehr die Luft zu rauben schienen. Da ihn inzwischen jedoch heftiger Schüttelfrost lähmte, gab er nach wenigen Momenten des fruchtlosen Kampfes auf und krümmte sich stöhnend zusammen. Nackte Angst und die Erkenntnis, nie wieder in Anabels wundervolle Augen zu blicken, ließen ihn abermals heftig würgen.
Kapitel 39
Ulm, 12. Januar 1350
»Das gelobe ich.« Der Boden unter Conrads Füßen schien sich in einem immer heftiger werdenden Wirbel zu drehen, als er die Hand von der Bibel nahm und auf wackeligen Beinen zu dem Podest stakste, wo der Bürgermeister ihn mit ausgestreckter Hand erwartete. Anders als auf Henricus’ Miene, lag auf den Zügen des beleibten Stadtoberhauptes ein aufrichtiges Strahlen, als er dem soeben vereidigten, in einer Blitzwahl ernannten Alderman auf die Schulter klopfte.
Zwei Tage nach dem Mord an dem vorherigen Zunftvorsteher hatte die Mehrheit der Ratsmitglieder auf eine neue Wahl gedrängt, die trotz einiger Gegenstimmen auf den Glockengießer gefallen war.
Lächelnd erwiderte Conrad die freundschaftliche Geste und wandte sich zu der Versammlung um, die ihn mit gemischten Gefühlen beäugte. Hatte es zuerst so ausgesehen, als trügen die geflüsterten Warnungen des neuen Abtes Früchte, schienen diese Anschuldigungen das Gegenteil von dem herbeigeführt zu haben, das er bezweckte. Den verkrampften Gesichtern mancher Ratsmitglieder nach zu urteilen, hatte Henricus lediglich erreicht, dass sich deren Einstellung zu Conrad grundlegend geändert hatte; was bedeutete, dass sie entgegen aller Hetze aus Reihen des Klerus das gewählt hatten, was sie für das kleinere Übel hielten. Scheinbar hatte Henricus’ Propaganda letztendlich dafür gesorgt, dass sich viele der Männer in der Zwischenzeit mehr vor Conrad fürchteten als vor dem frömmlerischen Franziskaner. Zwar hatte dieser erst vor Kurzem seinen Einfluss demonstriert, indem er eine hoch angesehene Heilige Schwester einem Hexenprozess unterworfen hatte, doch war die Erinnerung an dieses Ereignis vor dem Hintergrund des Mordes offenbar verblasst.
»Ich danke Euch für Euer Vertrauen«, dröhnte der Gießer pompös und genoss den Hass, der in den Blick des Abtes trat. »Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um diese Position voll und ganz zu Eurer Zufriedenheit auszufüllen«, fuhr er fort und breitete effektheischend die Hände aus. »Aber als erstes möchte ich darum bitten, eine Schweigeminute für meinen so unglücklich verstorbenen Vorgänger einzulegen.« Während einige zustimmend nickten, senkten andere hastig den Kopf, um die Verachtung zu verbergen, die sie für ihren neuen Anführer empfanden. Ein andächtiges Bittgebet murmelnd schloss Conrad die Augen und heuchelte Trauer. Als er den Eindruck hatte, sie genug gespielt zu haben, räusperte er sich und gab das Wort an den Bürgermeister ab, der mit der Tagesordnung fortfuhr.
Zufrieden lehnte sich der neue Alderman in dem gepolsterten Stuhl zurück, genoss die durch seine Adern strömende Macht und folgte den Stadtgeschäften, ohne sich erneut aktiv einzubringen. Die Dinge, die ihm am Herzen lagen, ließen sich am Besten außerhalb dieses Rates regeln, weshalb er seinen Gegnern das Gefühl geben wollte, ein Mindestmaß an Kontrolle behalten zu haben. Amüsiert lauschte er der Beschwerde eines Patriziers, der gegen eine Lockerung des Torzolles protestierte, mit der die Stadt Händler aus dem Umland auf den Markt locken wollte. Nachdem der Vorschlag, diese Abgabe nicht nur beizubehalten, sondern erheblich zu
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