Die Launen des Teufels
Schaden genommen, und immer mehr Unfreie und Sklaven, deren Herren der Krankheit erlegen waren, versuchten, sich durch Plündereien und Überfälle auf Reisende mit den nötigen finanziellen Mitteln einzudecken, um durch den harten Winter zu kommen.
»Allerdings hat das Ganze einen Preis.« Wenn er die Notlage des Abtes nicht für seine Zwecke nutzte, wäre er ein Narr, sinnierte er triumphierend und hielt in aller Seelenruhe den zornigen Blick des geschwächt wirkenden Franciscus. »Ich habe mich heute zur Wahl in den Rat aufstellen lassen. Seht zu, dass ich einen Platz erringe. Ich weiß, dass Ihr genug Einfluss habt, also spart Euch die Ausflüchte«, fügte er hastig hinzu, als Franciscus den Mund zu einer Erwiderung öffnete.
»Von Euch könnte selbst ich noch etwas lernen«, versetzte dieser schließlich mit widerwilliger Bewunderung und führte eine der Wasserkellen an den Mund, um gierig zu trinken, bevor er sich unsicher erhob. »Ihr habt mein Wort, wenn ich das Eure habe«, sagte er matt und machte Anstalten, sich zu entfernen.
Mit zusammengekniffenen Augen verfolgte Conrad, der sich nur unter Aufbietung aller Selbstbeherrschung einen freudigen Ausruf verkniff, wie der Abt sich auf wackeligen Beinen auf den Ausgang zuschob, wo er sich mit einer Hand an der Wand abstützte, bevor er über die Schulter in das Dampfbad zurückwarf: »Ich verlasse mich auf Euch, Conrad.« Damit verschwand er in dem kühlen Korridor und ließ den Glockengießer mit der Vorfreude auf den beinahe greifbaren Erfolg zurück.
Kapitel 20
Der lodernde Feuerschein, der den rauchverhangenen Nachthimmel in ein grelles, orangefarbenes Licht hüllte, zog Anabels Schritte wie magisch in Richtung Judenhof. Gellende Schreie und das kehlige Gebrüll aufgestachelter Männer vermischten sich mit dem Tosen der Flammen und dem verzweifelten Flehen von Frauen und Kindern. Die eisige Luft, die der jungen Frau messerscharf in die Lunge stach, trug den Gestank von verbranntem Fleisch, Ruß und brennendem Holz, und als Anabel das Gebäude der Beginensammlung hinter sich gelassen hatte, blieb sie bei dem Anblick, der sich ihren weit aufgerissenen Augen bot, wie vor die Brust gestoßen stehen. Inmitten des weitläufigen Häuserkarrees, welches das Viertel der jüdischen Gemeinde abgrenzte, brach in ebendiesem Moment das Dach der dort errichteten Synagoge in sich zusammen und sandte tanzende Funkenfontänen in die Nacht. Hustend presste sie sich den Ärmel ihres Kleides vor die Nase und verfolgte gelähmt vor Entsetzen, wie sich prügelschwingende Schemen aus dem dichten, grauen Schleier lösten, um heulende und kreischende Gestalten an Haaren, Armen und Beinen auf eine Grube zuzuzerren, die sich wie von selbst in den frostharten Boden zu fressen schien. Erst bei genauem Hinsehen konnte man die schmutzigen Männer erkennen, die sich mit Schaufeln, Hacken und Eimern bewaffnet soeben über den Rand des Schlundes schwangen, um ohne Unterlass in die Menge zu stürmen und weitere Unglückliche in das Loch zu stoßen. Leib um Leib taumelte in die Grube, und wer versuchte, sich daraus zu befreien, wurde erschlagen oder verstümmelt. Das Licht der Fackeln ließ deutlich die tiefrote Färbung des Schnees erkennen, und hätte sie nicht das Grauen auf der Stelle festgehalten, hätte Anabel wie von Dämonen gehetzt das Weite gesucht.
So blieb ihr nichts weiter übrig, als mit zitternden Knien den Halt einer Hauswand zu suchen und mit anzusehen, wie die in dem Loch zusammengedrängten Juden mit Pech übergossen und mit Holzscheiten bedeckt wurden, bevor kurze Zeit später ein wahrer Hagel an brennenden Fackeln auf sie niederprasselte. Mit einem fauchenden Geräusch fing das Pech Feuer und hüllte die schreienden Menschen in einen solch gewaltigen Feuerball, dass Anabel in mehreren Dutzend Schritt Entfernung die Hitzewelle ins Gesicht schlug. Keuchend taumelte sie zurück. Kaum hatte sie den Kreis des Feuers verlassen, rüttelte sie die beißende Kälte soweit auf, dass sie wie im Traum in Richtung Norden stolperte, um durch die dunklen Gassen nach Hause zu fliehen. Mehrmals schlug sie auf dem vereisten Untergrund lang hin, bis sie sich schließlich in der Nähe der Kohlgasse erschöpft und am ganzen Körper zitternd auf die Knie fallen ließ, um sich unter krampfartigem Würgen in eine der Abortrinnen zu erbrechen. Danach, als der Gestank brennender Haare und röstenden Fleisches nicht mehr in ihrer Kehle stach, gewann sie nach einigen Augenblicken der
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