Die Launen des Todes
und Rye schätzte sie auf den ersten Blick als eine Hausfrau ein, die früh Kinder bekommen, sich ein wenig hatte gehen lassen und nun, nachdem die Unbilden und der Überdruss des Freudenfestes hinter ihr lagen, in die Bibliothek gekommen war, um sich nach einem Bildungsweg umzutun, der zu einem weniger öde und vorhersehbaren Leben führte als das, was die gegenwärtigen Möglichkeiten ihr boten.
Musste Hats Einfluss sein, dachte sie sich. Ich werde noch eine richtige Polizistin. Was neben den Gedanken an Hat ein so warmes Lächeln auf ihr Gesicht sandte, dass die Frau entsprechend reagierte, was sie gleich um mehrere Jahre jünger und dreimal attraktiver erscheinen ließ.
»Hallo«, sagte Rye. »Kann ich Ihnen helfen?«
Darauf achtend, dass sie mit dem Körper jegliche Sicht von der Bibliothek abdeckte, schob die Frau einen Ausweis über die Theke.
»Hallo«, sagte sie. » DC Novello. Vielleicht hat Hat mich erwähnt?«
Tatsächlich hatte Hat, für den es in der Liebe nichts gab, was er hätte verheimlichen wollen, über seine Arbeit und seine Kollegen und über sich selbst mit vollkommener, aber subjektiver Offenheit erzählt.
Seine Darstellung seiner Erzrivalin Shirley Novello hatte bei Rye das Bild einer smarten, gebildeten Frau geweckt, der das Handy am linken Ohr klebte, der Organizer an die rechte Hand geschweißt war und bei der jeder Farbtupfer auf ihren Designer-Powersuit abgestimmt war. Sie brauchte einen Augenblick, um ihre falsche Vorstellung wie ihren misslungenen Versuch, die vor ihr stehende Person einzuschätzen, zu korrigieren. Beruhigend sagte Novello: »Nichts Schlimmes. Mr. Dalziel hat mich gebeten, mal reinzuschauen und nach dem Rechten zu sehen.«
In Wirklichkeit hatte der Dicke gesagt: »Lass sie wissen, dass sie sich vor schleimigen Schmarotzern in Acht nehmen soll, die sich ihr Vertrauen erschwindeln wollen. Gleichzeitig schleimst du dich selbst ein bisschen ein und stellst fest, ob sie was zu verbergen hat.«
»Was für ein netter Mensch Mr. Dalziel doch ist«, sagte Rye. »Wie Sie sehen, geht es mir gut.«
»O schön. War das nicht Mr. Penn, mit dem Sie sich gerade unterhalten haben? Ich habe gehört, was an Weihnachten vorgefallen ist. Er hat Sie doch nicht belästigt, hoffe ich?«
»Nein, nicht im Geringsten. Wir haben nur über Literatur diskutiert.«
Novellos Blick fiel auf Penns Blatt Papier. Rye zog es weg, Novello allerdings hatte die auf dem Kopf stehenden Verse bereits gelesen.
»Loreley«, sagte sie. »Haben Sie das nach dem Einbruch nicht auf Ihrem Computer vorgefunden?«
Du hast deine Hausaufgaben gemacht, dachte Rye. Das nun stimmte schon eher mit dem von Hat gezeichneten Bild überein.
»Ja«, sagte sie.
»Und Sie sind sich sicher, dass Mr. Penn Sie nicht belästigt hat?«
»Hören Sie, ich weiß, wenn ich belästigt werde.« Sie lächelte. »Ich bin überzeugt, es war nur Zufall. Er war hier, um sich bei mir zu entschuldigen. Wir werden sicherlich nicht die besten Freunde werden, aber wenn er nicht viel Aufhebens um die Sache machen will, habe ich nichts dagegen einzuwenden.«
»Er dürfte seine eigenen Gründe haben, wenn er davon nicht viel Aufhebens machen möchte«, sagte Novello.
»Das heißt?«
»Laut Mr. Dalziel könnte er beschlossen haben, dass es zu nichts führt, wenn er selber bellt, weshalb er sich vielleicht einen Hund angeschafft hat.«
»Der mich lauter anbellt?«, sagte Rye amüsiert.
»Einen Hund weniger zum Bellen, sondern zum Schnüffeln«, sagte Novello. »Von der Presse.«
»Einen Journalisten? Aber das ist doch idiotisch. Was sollte ich denn einem Journalisten erzählen können?«
»Nichts, hoffe ich. Aber wie Sie wahrscheinlich bereits selbst vermuten, glaubt Mr. Penn, dass Sie … dass wir alle was zu verbergen haben. Wenn es ihm gelungen ist, einen Journalisten davon zu überzeugen, könnte daraus eine ziemlich gute Story werden … der Punkt ist, es wird niemand auf Sie zukommen und Sie um ein Interview bitten, die Sache dürfte hinterhältiger ablaufen. Sagen wir hier in der Bibliothek. Jemand, der Sie erst um Hilfe bittet, woraus sich eine nähere Bekanntschaft entwickelt … kann passieren.«
Das kurze Schmunzeln, das Ryes Lippen touchierte, deutete Novello als Skepsis, der tatsächliche Grund dafür aber war die Erinnerung an Hat Bowler, der auf die gleiche Art versucht hatte, sie kennen zu lernen.
»Ich werde auf der Hut sein«, versprach sie.
»Etwas in der Art ist also noch nicht geschehen?«
»Nein. Ich
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