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Die Launen des Todes

Die Launen des Todes

Titel: Die Launen des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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ist keine fremde Person, wenn man mit der Arbeit beginnt. Man ist mit ihr bereits vertraut, wenn auch nur durch ihr Werk. Aber daraus ergibt sich der Wunsch, die Person, die dahinter steht, besser kennen zu lernen. Die sich manchmal als etwas völlig anderes entpuppt, als man sich ursprünglich vorgestellt hat. Darin liegt die Faszination.«
    »Verstehe. Und fällt es leichter oder schwerer, wenn sie schon tot ist?«
    »Sowohl als auch. Sie kann keine Fragen mehr beantworten. Aber sie kann auch nicht mehr lügen.«
    Sie schwieg, so lange, dass er sich fragte, ob diese unerwartete Unterhaltung nun zu Ende wäre, doch dann sagte sie: »Und sie kann sich nicht mehr dagegen wehren, wenn man seine ungebetene Nase in ihre Privatangelegenheiten steckt. Das muss von Vorteil sein.«
    »Ich glaube, jetzt bringen Sie meine Arbeit mit der Ihres Freundes durcheinander«, sagte Penn.
    »Parallelen, die sich manchmal überschneiden, ist es nicht so?«
    »Für einen simplen Geist wie mich ist das ein wenig zu hoch.«
    »Simpel, Mr. Penn? Bei den vielen Büchern, auf denen Ihr Name steht?«
    »Es ist nichts Intelligentes daran, wenn man sich Dinge zu Figuren ausdenkt, die man erfunden hat«, sagte er mit der barschen Geringschätzung dessen, der Erfolg hatte.
    »Aber Heine haben Sie nicht erfunden. Und ich hoffe, Sie erfinden auch nichts über ihn.«
    »Nein, den gab es wirklich. Aber man muss nicht sonderlich intelligent sein, um über jemanden die Wahrheit herauszufinden, dazu braucht es lediglich harte Arbeit und Achtung vor der Wahrheit.«
    »Und beim Übersetzen seiner Gedichte?«
    »Da gilt das Gleiche.«
    »Sie überraschen mich. Ihre Übersetzungen kommen mir überhaupt nicht mehr unter, Mr. Penn. Es gab mal eine Zeit, da bin ich ständig über sie gestolpert.«
    Sie sagte es voller Ernst, ohne den geringsten Anflug von Spott, aber beide wussten, dass sie auf eine Zeit anspielte, in der ihr der Schriftsteller versteckt den Hof gemacht und seine Übersetzungen der Liebesgedichte Heines an Stellen abgelegt hatte, an denen sie sie unweigerlich zu Gesicht bekommen musste. Als sie ihm offen mitteilte, dass sie keinerlei Interesse an ihm hatte, tauchten die Gedichte zwar weiterhin auf, aber mit höhnischem Unterton. Dick Dees Tod hatte diesen Spielchen ein Ende bereitet.
    »Ich hab mich seit einiger Zeit nicht mehr dran gesetzt«, sagte er. »Aber jetzt komme ich wieder in die Gänge. Warten Sie einen Moment. Ich hab hier was, zu dem ich gern eine Meinung hätte.«
    Er ging zu seinem Arbeitsplatz und kehrte mit einem Blatt zurück, das er vor sie hinlegte und auf dem zwei Verse nebeneinander geschrieben waren.
    The rock breaks his vessel asunder
    The waves roll his body along
    But what in the end drags him under
    Is Loreley’s sweet song
     
    But when in the end the wild waters
    Plug his hear and scarf up his eye
    I’m certain his last drowning thought is
    The song of the Loreley.
[1]
    Sie las sie, ohne das Blatt anzurühren.
    »Und?«, sagte sie.
    »Zwei Versionen des letzten Verses von Heines Loreley-Gedicht. Sie wissen schon, das anfängt mit
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin.
«
    »Ist mir schon mal untergekommen.«
    »Beide sind sehr frei übersetzt. Ich gebe parallel eine wörtliche Übersetzung, in der metrischen Version jedoch versuche ich den Geist und weniger den wörtlichen Sinn des Originals zu erfassen. Mein Dilemma dabei ist, will uns Heine sagen, dass es die Loreley mit ihrem Gesang bewusst darauf anlegt, die Schiffer in ihr Verderben zu locken? Oder liegt es einfach in ihrer Natur zu singen, und die Schiffer sind selbst daran schuld, wenn sie untergehen, weil sie ihr zuhören? Was meinen Sie?«
    »Weiß nicht«, sagte Rye. »Aber dass Sie ›waters‹ mit ›thought is‹ reimen, gefällt mir nicht besonders.«
    »Ein ästhetisches, weniger ein moralisches Urteil. Verständlich. Ich halte mich an das erstere.«
    Er nickte, machte wie ein Soldat auf dem Absatz kehrt und ging an seinen Platz zurück. Das Blatt ließ er auf dem Tisch liegen.
    Eine Frau, die das alles von der Tür aus beobachtet hatte, schritt nun zur Theke. Als Rye Pomona aufblickte, sah sie eine jugendliche Frau vor sich, eher stämmig gebaut, ohne Make-up, sie trug eine regennasse schlammfarbene offene Fleece-Jacke, unter der ein graues Schlabber-T-Shirt zu sehen war, dessen Falten ihrer Figur kaum zuträglich waren und dessen Farbe unruhig mit ihrem dunklen Teint kontrastierte. In der Hand hielt sie eine Tesco-Tüte,

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