Die Launen des Todes
Bild an und verschickte alles zusammen.
Dalziel drehte den Bildschirm zu sich, damit er es sehen konnte.
Novello erinnerte sich an eine Geschichte, die an der Klosterschule, aus der sie rausgeworfen worden war, von der für die Benimmregeln zuständigen Nonne erzählt wurde. Sie handelte von Königin Viktoria bei einem Bankett, das ihr zu Ehren in Paris von Kaiserin Eugenie gegeben wurde. Als die Kaiserin am Tisch Platz nahm, sah sie wie die meisten kurz nach unten, um sich zu vergewissern, dass der Lakai ihren Stuhl auch in Position geschoben hatte. Zur großen Bewunderung der französischen Bankettgäste aber setzte sich Viktoria ohne zu zögern, ohne nach unten zu blicken, als wäre sie sich völlig sicher, dass, sollte der Lakai seiner Pflicht nicht nachkommen, Gott höchstselbst den Stuhl nach vorn schieben würde, damit sie ihren königlichen Hintern darauf platzieren konnte.
Genauso, schien es ihr, blickte der Dicke finster auf den Monitor, in der von Gott selbst beglaubigten Gewissheit, dass seine Nachricht unverzüglich eine Antwort erhalte.
Es dauerte nur einige Minuten, dieser Betonsockel von einem Gesicht begann sich bereits vor Ungeduld zu verfinstern.
Mai Richter, deutsche Journalistin. Lebenslauf liegt bei. Pass auf deine Eier auf. Sie beißt.
Sie druckte den Lebenslauf aus, reichte ihn dem Dicken und las ihn selbst am Bildschirm.
Mai Richter war neununddreißig Jahre alt, stand vor einer akademischen Laufbahn, hatte eine Doktorarbeit über Ämterpatronage in der amerikanischen Politik der Nachkriegszeit verfasst, die jedoch abgelehnt wurde. Als sie nach den Gründen dafür recherchierte, stellte sie fest, dass einige sehr hochrangige Staatsbeamte, die im Finanzausschuss der Universität die Strippen zogen, keinerlei Interesse hegten, dass dieses Thema genauer unter die Lupe genommen wurde. Daraufhin veröffentlichte sie ihre Erkenntnisse in einer Zeitung, wurde deswegen angeklagt, focht den Prozess bis zu einem Vergleich durch und musste einsehen, dass ihre akademische Karriere bereits Schiffbruch erlitten hatte, bevor sie überhaupt aus dem Hafen ausgelaufen war. Weshalb sie ihr Talent, Dinge unter der Oberfläche hervorzuwühlen, in den Dienst des Journalismus stellte.
Es folgte eine Aufstellung ihrer investigativen Arbeiten, meistens ging es um Deutschland, manche Artikel beschäftigten sich auch mit Themen in Frankreich und den Niederlanden. Sie sprach fließend Holländisch, Englisch und Französisch, arbeitete freiberuflich und verkaufte ihre Geschichten an den Meistbietenden. Sie gehörte keiner politischen Partei an, stand aber radikalen linken Ansichten nahe. Sie wandelte auf einem schmalen Pfad und hatte die Grenze zum Illegalen, so wurde angenommen, häufiger überschritten als die wenigen Male, bei denen sie dabei erwischt wurde; Vorfälle, die ihre Aufnahme ins internationale Polizeiregister rechtfertigten. Ein weiterer Grund waren die gegen sie ausgesprochenen Morddrohungen, wobei mindestens ein Anschlag auf sie bekannt wurde.
»Scheint ein gefährliches Metier zu sein, das sie da betreibt«, sagte Novello.
»Wie gefährlich, das wird sie feststellen, wenn ich sie das nächste Mal zu fassen bekomme«, grummelte Dalziel. »Sehen wir sie uns genauer an.«
»Das nächste Mal …? Gab es denn ein erstes Mal, Sir?«, sagte Novello, die erneut das Bild aufrief.
»O ja. Ich hab mit ihr getanzt und ihr einen dicken feuchten Schmatz aufgedrückt«, sagte Dalziel. »Dieses Miststück nennt sich Myra Rogers. Sie ist Rye Pomonas Nachbarin und ihr bester Kumpel!«
Novellos Überraschung mischte sich mit Erleichterung. Sie hatte es also gar nicht verbockt. Sie war verschwunden, weil sie einfach in ihre Wohnung gegangen war.
Der Dicke diktierte eine weitere Nachricht.
Sie beißt also? Schön, daran bin ich gewöhnt, du walisische Tagediebin! Ich hab als Beweis noch die Narben, die ich vorzeigen kann. Was ist mit einer stachelhaarigen Tunte, hört auf den Namen Tris, eine Fresse wie ein sturzbesoffenes Frettchen, Teint einer alten Pub-Decke, kleidet sich wie ein polynesischer Pocken-Salbader und hat eine Handtasche bei sich?
Die Antwort darauf kam noch schneller.
Wenigstens kannst du deine Narben vorzeigen. Wenn ich meine Schmisse zur Schau stellen würde, die du mir mit deinen Hufen verpasst hast, würde ich vom Fleck weg verhaftet werden! Dein Frettchen (sehr passend) klingt nach Tristram Lilley, was vermutlich heißt, dass da eine ernsthafte Hightech-Überwachung abgezogen wird.
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