Die Launen des Todes
erschrocken wachte sie auf.
Aus den tanzenden Schatten des Scheiterhaufens wurden die weißen Wände ihres Schlafzimmers, aus der sengenden Hitze wurde die beißende Kälte einer englischen Januarnacht.
Aber die Musik blieb. Die schaudernden Tonfolgen, die vom Rand des Lebens in die Unterwelt hinabrollten, hallten in ihren Gedanken wider. Und in ihren Ohren.
Sie setzte sich auf.
Die Musik erklang noch immer.
Langsam stieg sie aus dem Bett, fummelte in ihrer Nachttischschublade, bis sie fand, wonach sie suchte, und ging zur Schlafzimmertür. Am Boden erkannte sie einen schmalen Lichtspalt, rot und leicht flackernd, als würde der Scheiterhaufen, von dem sie geträumt hatte, direkt hinter diesem Durchgang liegen.
Tapfer griff sie nach dem Knauf, drehte ihn und drückte die Tür auf.
Von ihrem Tapedeck dröhnte Musik, während in den orange flackernden Flammen ihres mit Gas betriebenen Kamins die Umrisse einer monströsen Gestalt sichtbar wurden, deren Masse aus dem alten Armsessel quoll.
Ihre klammen Finger suchten, konnten aber den Lichtschalter nicht finden.
»Wer ist da?«, fragte sie mit schriller Stimme. »Wer sind Sie? Ich warne Sie, ich bin bewaffnet.«
»Gut, dass ich unbewaffnet bin«, sagte die Gestalt. »Es ist alles in Ordnung, Mädel, ich bin’s nur, der Geist vom letzten Weihnachten. Kommen Sie rein und machen Sie die Tür zu. Es zieht fürchterlich.«
Und die Gestalt beugte sich vor, bis Mai das unwillkommene Antlitz des Superintendent Andrew Dalziel erkannte.
Dalziel lehnte sich im Sessel zurück und sah der Frau zu, die sich im Zimmer zu schaffen machte, die Musik abstellte und das Licht andrehte. Die rundlichen anonymen Gesichtszüge, die ihr bei der Arbeit so nützlich sein mussten, waren ihr irgendwie abhanden gekommen. Vielleicht lag es an ihrem Entsetzen, nachdem sie durch diesen seltsamen Eindringling so abrupt aus dem Schlaf gerissen worden war, vielleicht auch am fehlenden Make-up oder ihrem Haar, das nicht sorgfältig frisiert und zurechtgemacht war. Ihr rundes Gesicht wirkte nun ausgeprägt, scharfkantig. Sie schlief in nichts anderem als einem dünnen weißen T-Shirt, ihre Sexualität wurde ihm bewusst, was vielleicht ebenfalls dazu beitrug, dass ihr Gesicht seine Unscheinbarkeit verloren hatte. Er bemerkte, dass sie trotz ihrer Verzögerungstaktik keinerlei Anstalten machte, sich einen Morgenmantel zu holen. Cleveres Mädel, dachte er sich. Ist ziemlich durcheinander, meint aber, für sich einen Vorteil herausschlagen zu können, wenn sie mich mit ihren Titten ablenkt.
Schließlich setzte sie sich ihm gegenüber und zog sich, sehr prüde, das T-Shirt über die Knie.
»Also«, sagte sie. »Superintendent Dalziel, Sie sind um ein Uhr morgens in meine Wohnung eingebrochen. Sie trinken meinen Whisky, das ist Diebstahl, und da Sie meine Kassetten durchwühlt haben, gehe ich davon aus, dass Sie eine illegale Wohnungsdurchsuchung durchgeführt haben. Noch etwas, was mir entgangen ist?«
»Nein, Mädel, das bringt’s ziemlich genau auf den Punkt. Netter Whisky, übrigens, hab mir schon Sorgen gemacht, es gäbe hier nur Schnaps oder irgendein anderes Kraut-Feuerwasser. Auch einen Schluck?«
Sie lächelte und beugte sich vor, um sich ein Glas einzuschenken. »Es interessiert mich sehr, warum ein hochrangiger Polizist auf diese Weise seine Karriere aufs Spiel setzt.«
»Ach, das ist jetzt die Tie-Break-Frage, was? Um die Wahrheit zu sagen, ich bin eigentlich nur hier, um herauszufinden, warum Sie abreisen?«
»Abreisen?«
»Kommen Sie schon, Liebes. Sie glauben doch selbst nicht, dass Sie auch nur ein Flugticket kaufen können, ohne dass die Polizei in halb Europa es mitbekommt?«
Das war eine Lüge. In den drei Tagen, seitdem er Wields Bericht erhalten hatte, hatte der Dicke gewiss eine Menge Zeit damit verbracht, sich eine Taktik zurechtzulegen, dass sie jedoch nach Deutschland zurückkehren wollte, erfuhr er erst, als er in ihrer Schreibtischschublade das Flugticket fand. Es war für den morgigen Tag ausgestellt, nur ein Hinflug, erster Klasse.
Seine Schlussfolgerung lautete: Sie musste der Ansicht sein, dass sie hier nicht weiterkam oder ihr Job beendet sei, und fast war er bereits versucht gewesen, sich so leise, wie er gekommen war, wieder fortzuschleichen. Aber es war eine Illusion, wenn man glaubte, Probleme würden einfach so verschwinden, wie er in seinem mit privaten wie beruflichen Problemen voll gepackten Leben zur Genüge erfahren hatte.
Charley Penn
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