Die Launen des Todes
nämlich gesagt, dass sich in unserem Gebiet eine Ausländerin unter falschem Namen aufhalten könnte. Ihr wisst ja, wie die Typen bei der Einwanderungsbehörde so sind, also hielt ich’s für das Beste, gleich mal vorzupreschen und die Sache ernst zu nehmen.«
»Na, da warst du aber schrecklich gewissenhaft, Boss«, sagte Pascoe. »Das können wir nicht zulassen, dass Ausländer unbekannter Herkunft in Mid-Yorkshire ihr Unwesen treiben, nein, nein. Also, Wieldy, erzähl mir, was hast du über diese Wölfin im Schafspelz herausgefunden?«
»1962 in Kaub, Rheinland-Pfalz, geboren«, trug Wield mit bester Kathederstimme vor. »In Heidelberg, Paris und London studiert. Freiberufliche Journalistin, bevorzugte Themen politische Korruption auf lokaler und nationaler Ebene mit besonderem Interesse für die Umweltpolitik. In Deutschland wegen Landfriedensbruchs, Widerstands gegen die Staatsgewalt und wegen Eigentumsdelikten verurteilt. Keinerlei Verurteilungen im UK . Keine ausstehenden Haftbefehle …«
»Ja, ja«, sagte Dalziel und hielt den Ordner hoch, den er sich vom Sergeant genommen hatte. »Ihr müsst nicht eure wertvolle Zeit verschwenden, hab ich doch alles bereits. Hoffe nur, dass noch ein paar nützlichere Dinge drinstehen.«
»Kann ich nicht sagen, wusste ja nicht, wofür Sie es brauchen«, sagte Wield.
Dalziel ließ ihm einen scharfen Blick zukommen. Hastig fiel Pascoe dazwischen: »Kaub. Das liegt doch am Rhein, wenn ich mich recht erinnere. Ein paar Kilometer südlich von der Loreley.«
»Ja?«, sagte der Dicke. »Warst du da mal?«
»Ja. Hab vor einigen Jahren an einer Rhein-Reise teilgenommen. Schöne Gegend, sehr romantisch, in jeder Beziehung.«
»Mehr als eine Beziehung gleichzeitig ist zu viel für mich«, sagte Dalziel. »Und wenn wir schon alle so mitteilsam sind – noch etwas, was ich wissen sollte?«
Sein Blick war auf das Blatt mit den neuen Informationen über Roote Senior geheftet, das er, obwohl es über einen Meter vor ihm mit der Rückseite nach oben auf dem Schreibtisch lag, wie ein Werbeplakat zu lesen schien.
»Nein, Sir«, sagte Pascoe entschieden.
»Und du, Wieldy. Irgendwas Neues von Boy George?«
»Nein, Sir.« Ebenso entschieden.
»Großartig. Dann können wir uns nun ja alle wieder an die Arbeit begeben, nicht wahr?«
Er ging.
»Manchmal«, sagte Wield, »kommt man sich vor, als hätte man einen Teddybär. Die meiste Zeit kuschelt man mit ihm, und plötzlich merkt man, dass der Kerl einen einfach platt drückt!«
ai Richter träumte, sie sei wieder in ihrer Heimatstadt Kaub, stehe in der Metzgergasse, der lieblichen Seitenstraße mit Blick auf den Stadtturm, der sich vor einem düsteren Himmel abzeichnete. Noch höher, selbst an den sonnigsten Tagen ein drohender Anblick, ragten die restaurierten Ruinen von Gutenfels auf und erinnerten jene, die unten standen, wo in diesem Land einst die wirkliche Macht residiert hatte.
Mai Richters Blick aber war sehr viel tiefer gerichtet. Vor dem Turm loderte ein Scheiterhaufen, prasselnd rissen die Flammen an den Fichtenholzrippen des Gestells und ließen im Inneren das pulsierende orangefarbene Herz erahnen. Verhüllte, vermummte Gestalten tanzten außen herum, auf ihre Kutten fiel gerade so viel Licht, dass ihre blassen Gesichter, starren Augen, in schrecklichem Freudentaumel verzerrte Münder zu erkennen waren. Sie schleuderten Bücher in den Rachen des Feuers, das sie begierig aufnahm, ganze Bände in wenigen Sekunden verschlang. Sie wusste, es waren ihre Bücher, Bücher, die sie unter Schweiß und Tränen, mit Liebe und Hingabe verfasst hatte, alle Exemplare all ihrer Bücher, jedes Wort, das sie jemals geschrieben hatte, alles ging vor ihren Augen in Flammen auf, verschwand für immer aus den Bibliotheken und den Buchläden und, was am schlimmsten war, aus ihrem Kopf.
Warum an Bücher denken, wenn, wie sie ohne jeden Zweifel wusste, sie sich als Nächstes ihren Körper holen würden, nachdem ihre Worte verbrannt waren? Schon konnte sie die Hitze der rasenden Flammen spüren, dennoch fehlte ihr die Kraft, sich zu widersetzen oder zu fliehen. Irgendwo ganz in der Nähe hörte sie das Rauschen und Fluten des mächtigen Rheins, seine kühlenden Wasser aber brachten keine Linderung.
Und dann veränderte sich das Rauschen, war noch immer so mächtig und brandend wie zuvor, aber etwas Neues kam hinzu, etwas anderes … und plötzlich erkannte sie die dunkle und schreckliche Musik von Siegfrieds Begräbnis. Zu Tode
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