Die Launen des Todes
mal in Ruhe lassen. Das hat meine alte schottische Oma immer über Kobolde und Geister gesagt, die in der Nacht herumrumpeln. Tu du ihnen nichts, dann tun sie dir auch nichts. Wir sehen uns dann oben, vielleicht.«
Er erhob sich. »Du hast dein Buch vergessen«, sagte Penn.
Er schlug das Taschenbuch auf, kritzelte etwas hinein und reichte es Dalziel.
Der Dicke entfernte sich, wobei er sich zwischen den voll besetzten Tischen hindurchquetschte. Er erwartete, dass Penn ihm hinterheräugte, doch als er in die das Hal’s Café begrenzende Glaswand blickte, musste er feststellen, dass der bärtige Autor sich wieder in eines der Bücher vertieft hatte.
In welcher Sprache er wohl denkt?, überlegte Dalziel.
Draußen schlug er das Buch auf. Die gedruckte Widmung war auf Deutsch.
»An Mai – wunderschön in allen Monaten!«
Dafür reichte Dalziels Deutsch noch aus.
Um aber die Botschaft zu verstehen, die Penn unter den Titel
Harry Hacker und das Narrenschiff
gekrakelt hatte, bedurfte es keiner linguistischen Fertigkeiten.
Bon voyage, Seemann!
Er lachte laut auf.
»Charley«, sagte er. »Wusste gar nicht, dass dir mein Wohl so am Herzen liegt.«
an kann nicht jahrelang in der gleichen Stadt leben und arbeiten, ohne dass Herz und Verstand auf Schritt und Tritt von liebevollen Erinnerungen heimgesucht werden, und als der Weg zur Stadtbibliothek Dalziel daher an der Toilette vorbeiführte, in der Stadtrat »Stuffer« Steel vom Wordman mit einem Grabstichel ermordet worden war, ging er rein zum Pinkeln, blieb aber abrupt stehen, als er oben auf einer Trittleiter einen Mann zu Gesicht bekam, der eine Videokamera an die Decke schraubte.
»Hallo«, sagte Dalziel. »Was ist das denn? Wird jetzt die Gülle gefilmt?«
»System-Update, Kumpel. Neueste Technologie, die wird hier installiert. Mit dem Ding kann man ’ne Nahaufnahme deiner Eier zum Mond beamen«, sagte der Mann stolz.
»Ach, wirklich? Vielleicht sollte jemand die NASA vorwarnen.«
Unbeeindruckt von der Aussicht, weltweit medial verbreitet zu werden, pinkelte er und ging dann seines Weges, wobei er von Zeit zu Zeit weitere Anzeichen neuerer Installationsarbeiten in Augenschein nahm.
In der Bibliothek wurde er mit einem Lächeln begrüßt, das einem Mann die Hosenträger sirren ließ, und den Worten »Mr. Dalziel, wie schön, Sie zu sehen!«, die von der gut aussehenden jungen Frau hinter der Theke in voller Aufrichtigkeit geäußert wurden.
Die italienische Ader in der Familie Pomona mochte einige Generationen alt sein, in Raina allerdings, Ra-ina ausgesprochen und von Freunden zu Rye abgekürzt, hatten sich die Gene dieser Sorte eindeutig durchgesetzt. Ihre Haut besaß einen goldenen Schimmer, ihre dunklen, ausdrucksstarken Augen hätten einen mehr poetisch veranlagten Mann als den dicken Andy nach Bildern mediterraner Himmel Ausschau halten lassen. Ihr Haar war dunkelbraun, bis auf eine silbrig-graue Strähne, die die Haupteinschlagstelle einer Kopfverletzung markierte, erlitten im Alter von fünfzehn Jahren bei einem Autounfall, bei dem ihr Zwillingsbruder ums Leben gekommen war. Dem Superintendent gegenüber zunächst reserviert eingestellt und aufgrund der Berichte über Drangsalierung und Schikane, die sie von ihrem angehenden Freund DC Hat Bowler erhielt, nicht gerade zu größerem Wohlwollen ermutigt, hatte sie ihre Haltung in der Folge des Wordman-Falls abgemildert, nachdem sie sah, dass Dalziel ungeachtet dessen, was seine äußere Erscheinung erwarten ließ, sich voll und ganz vor seinen jungen Beamten stellte und entschlossen war, ihn vor allem bürokratischen Unrat zu schützen.
Auch hatte sie Hat gebeichtet (und den jungen Mann damit in geistige Wirrnis gestürzt), dass Dalziel etwas an sich hatte, was man als sexy bezeichnen musste, auf eine nicht-sexy Art und Weise. Als sie bemerkte, wie perplex der DC reagierte, hatte sie angefügt: »Ich will mit ihm nicht ins Bett, verstehst du, aber ich kann nachvollziehen, warum er womöglich keinen Mangel an Angeboten hat.«
Hat, der sich nur allzu oft an den Kantinenspekulationen über die Geophysik der Beziehung des Dicken zu seiner Herzdame, der nicht unbedingt zierlichen Cap Marvell, beteiligt hatte, musste feststellen, dass er die Sache daraufhin unter einem anderen Blickwinkel betrachtete. Diese Wirkung hatte Rye häufig auf ihn – was zu den Freuden und den Gefahren gehörte, wenn man sie näher kennen lernte –, doch kein anderer Perspektivwechsel war ihm bislang so
Weitere Kostenlose Bücher