Die Lauscherin im Beichtstuhl - Die Lauscherin im Beichtstuhl
gegenseitig auch schon mal die Ohren. Aber umbringen würden wir Katzen uns untereinander nie. Nur in ganz seltenen Fällen, bei jenen, die einen Schaden im Gehirn haben oder die tollwütig wurden, gibt es echte Mörder. Solche wurden wirklich gefährlich.
Angst kroch mir durchs Gebein.
Und meine Befürchtungen sollten sich bewahrheiten, denn es folgte ein höchst unerfreuliches Kapitel.
Ein bebildertes Kapitel
Einen halben Tag lang tigerte ich auf den Obstwiesen auf und ab und wälzte Gedanken. Seit ich hier im Kloster weilte, hatte sich mein Leben ziemlich gewandelt. Früher war es einfacher gewesen. Ich hatte ein festgelegtes Gebiet, in dem ich auf kätzische Weise nach dem Rechten sah, spielte gelegentlich mit der alten Moen, weil das Spaß machte, zog meine Jungen groß und sehnte mich hin und wieder nach einem Kater.
Hier lebte ich nun sehr viel enger mit den Menschen zusammen und fand seltsamerweise ein neues Verhältnis zu ihnen. Ich erinnerte mich meines Traumes, in dem meine vier Kinder aufgetaucht waren, die nun ihrer eigenen Wege gingen. Der kleine, weiße Kater lebte bei der Dame Caroline, und er hatte mich in jenem Traumgesicht an Melvinius erinnert. Deshalb kümmerte ich mich um den alten, weisen Mann in besonderem Maße. Jetzt aber schlich sich mir der Gedanke in den Kopf, auch andere meiner Kleinen könnten eine gewisse Ähnlichkeit mit den Menschen hier im Kloster haben. Beispielsweise die beiden gleich gefleckten Kätzchen. Sie ähnelten Clemens und Kristin. Freundliche, gewandte Gesellinnen, denen stets der Schalk im Nacken saß. Solche Verwechselspiele wie die Zwillinge hatten sie auch gerne getrieben. Der getigerteKater hingegen war ein abenteuerlustiger Rauf er. Immer versuchte er, um den Vorrang zu kämpfen. Selbst als alle noch blind vor sich hin tapsten, drängte er sich zu den Nuckelstellen an meinen Zitzen vor. Zum Glück hatte er einen großen, ansehnlichen Herrschaftsbereich gefunden, in dem er trotz seiner Jugend schon jetzt als Revierfürst regierte. Wenn ich an ihn dachte, dann fiel mir Meiko ein. Auch er war ein Rauf er, voller Kratzer und Schrammen von seinen Kämpfen. Auch er hatte sich sein eigenes Revier gesucht, auch er hatte eine bestimmte Art, sich Respekt zu verschaffen.
Ich sorgte mich um alle meine Kinder, welcher Farbe und welchen Charakters auch immer sie waren. Doch sie waren fort, und neue waren mir bisher nicht vergönnt. Aber irgendwie schienen die Menschen inzwischen ihre Rollen übernommen zu haben, denn nicht nur für Melvinius empfand ich mütterliche Fürsorge, auch für Clemens und Kristin. Aber, um ehrlich zu sein, bei Meiko ging es über die mütterliche Fürsorge hinaus. Er hatte eine raue Schale und ein herrschsüchtiges Wesen. Aber seinen Sohn liebte er zärtlich, um den Pater war er besorgt und den Zwillingen war er zugeneigt, Kristin vielleicht mehr als Clemens.
Zu mir war er eigentlich auch ganz nett.
Er hatte zwar mein Leben grundlegend und gegen meinen Willen verändert.
Was ich im Nachhinein als beachtliche Leistung wertete, denn ich hatte schließlich einen sehr eigenen Willen.
Er hatte mir aber auch das Leben gerettet. Eigentlich war er zu mir sogar sehr nett.
Und ein recht ansehnlicher Menschenkater war er auch.
Ich wollte nicht, dass der tollwütige Arnoldus oder Johanna ihn umbrachten.
Als ich mit meinen Überlegungen so weit gekommen war, legte ich mich auf der Mauer an der Pferdekoppel in die Sonne, das Kinn auf die verschränkten Pfoten gestützt, und gönnte mit eine Verschnaufpause.
Denken ist so anstrengend.
Dösen so erholsam.
Ich erwachte, weil eine späte Hummel mit penetrantem Gebrumm um mein Ohr sauste, und blinzelte nach oben. Lange hatte ich nicht geschlummert, die Sonne war nur ein kleines Stück weiter gewandert. Aber das Nickerchen hatte den erwünschten Erfolg. Mir war etwas klar geworden.
Ich brauchte Rat.
Gewöhnlich lege ich ja großen Wert auf meine Unabhängigkeit, aber manchmal muss man einfach bei anderen zusätzliche Erkundigungen einholen und Meinungen erfragen. In diesem Fall ging es um menschliches Verhalten. Obwohl ich Raguna als die Weiseste unter den Katzen schätzte, war sie doch nicht die Richtige in diesem Fall. Sie kümmerte sich um das Waldleben, nicht um das der Menschen. Engelbert kannte zwar gewisse Kuriositäten aus dem Kloster- und Küchenleben, aber war doch ein wenig wirklichkeitsfremd. Wanze und Laus waren schlichtweg dumm. Aber Diabolo, auch wenn er die Menschen zumeist mied, war ein
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