Die Laute (German Edition)
Asis das Mitgebrachte in die Hand und sagt: »Nimm du es. Ich habe hier alles, was ich brauche.«
Asis weiß, dass er keinen einzigen Krümel davon in den Mund nehmen wird. Trotzdem nimmt er die Tüte entgegen. Sie lächelt ihn an, und er versucht zurückzulächeln. Aber sein Gesicht bringt nur ein schiefes Grinsen zustande. Dann zieht er sein Notizblock aus der Tasche und schreibt: »Ich komme wieder, sobald ich kann!« – Sein Vater liest es der Mutter vor.
Sie nickt und antwortet lächelnd: »Es hat keine Eile, mein Sohn.«
Die restlichen Tage in Ibb verbringt Asis damit, im Diwan des Onkels fernzusehen. Manchmal schaut der Onkel, manchmal die Tante mit ihm fern. Niemand von beiden spricht mit ihm.
Außer zu den beiden Krankenbesuchen verlässt er das Haus nicht.
Am Tag seiner Rückkehr nach Aden packen seine Schwestern die frischgewaschenen und sorgfältig zusammengelegten Kleider in den schwarzen Kunstlederkoffer der Tante und verabschieden sich an der Haustür still von ihm. Sein Vater bringt ihn bis zum Halteplatz der Sammeltaxis und sorgt dafür, dass Asis im richtigen Wagen nach Aden einen Platz findet, als handle es sich bei seinem Sohn um ein vierjähriges Kind.
Asis beobachtet all diese hilflosen Gesten wie ein Außenstehender. Niemand hat ihn in diesen Tagen gefragt, ob er in Aden glücklich sei.
Nun fragt er sich selbst und weiß keine Antwort. Er weiß nur, dass es gut war, Ibb zu verlassen. In Ibb wäre er zweifellos noch unglücklicher gewesen.
An der Endstation sitzen nur noch der Fahrer und ich im Bus. Eine verlassene Landstraße, der kleine Flughafen, sonst nichts. Direkt hinter dem Passagierterminal steht ein kleiner Bauernhof. Zu dieser nächtlichen Stunde sind alle Fenster dunkel. Nur an manchen Wintermorgen, nach meinem Arbeitsende, sehe ich hin und wieder um kurz vor fünf schon das eine oder andere Fenster erleuchtet, genau zu
al-Fadschr
, der Stunde des Morgengebets.
Eigentlich müsste man in der Abflughalle den Kuh- und Schweinemist vom Hof riechen können. Liegt ja nur ein paar Schritte entfernt.
Das Cargogebäude steht ungefähr fünfzig Meter nördlich vom Passagierterminal. Hier hält der Bus nicht, auch wenn ich der einzige Fahrgast bis. Er hält nur vor der Ankunft- und Abflughalle, mag der Terminal auch geschlossen sein.
Alles ist hier neu, in flaschengrünem Glas und mit silbernen Alulamellen, klein und putzig, aber neu, selbst der Name,
Jan Pawel II
. Was hier wohl vorher gestanden hat, neben den Schweine- und Hühnerställen?
Gibt es auch sonst nichts in diesem Flughafen, keine Businesslounge, kein Airporthotel, nicht mal ein Rauchereck, so doch eine Kapelle, einen Airportpfarrer und zwei Gottesdienste am Tag des Herrn.
Ich war nie in dieser Kapelle, aber die polnischen Kollegen haben mir mit Händen und Füßen versichert, dass dort statt eines Kreuzes ein Flugzeugpropeller an der Wand hänge, mit drei zweimetergroßen Rotorblättern. Er gehörte zu einer Militärmaschine, die gleich zu Beginn des letzten Krieges von den Deutschen abgeschossen wurde. Ich habe keine Ahnung, ob dieser Propeller ihnen nun als ein gleichwertiger Kreuzersatz gilt, immerhin lässt sich ja auch daran ein Mensch noch recht bequem aufhängen, auch wenn man womöglich Probleme mit dem Nageln bekäme.
In der Packhalle von UPS arbeiten nur Männer. Alle sind in Bewegung, von den Lagerregalen zum Packband, vom Packband zu den schwarzbraunen Kastenwagen. Geredet wird wenig, sodass auch mein Schweigen kaum auffällt. Während man arbeitet, vergisst man die eigene Geschichte und die Geschichten der anderen, von denen ich nicht viel mehr als die müden Gesichter und das strähnige Haar kenne. Auf unseren schwarzbraunen UPS -Overalls tragen wir braune Schildchen, auf die in schwarzen Buchstaben unsere Namen eingestanzt sind, die langen zungenbrecherischen polnischen Namen und die peinlich kurzen und phantasielosen der Vietnamesen.
Die meisten von uns sind Raucher, ja, alle außer Maciek, dem Vorarbeiter, der nur trinkt, und mir sind Raucher. Hin und wieder verschwinden sie, immer allein, auf den Packhof, rauchen hastig eine halbe Zigarette, während ein Kollege ihren Lieferbereich übernimmt. In der Packhalle darf natürlich nicht geraucht werden.
Am Ende der Nachtschicht rauchen sie dann zusammen und gehen, im Abstand von einem langen tiefen Zug aus ihren Zigaretten, zu ihren Wagen, die jeweiligen Fahrgemeinschaften. Es sieht aus, als gingen sie ihren Rauchwolken hinterher, vielleicht um den Weg
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