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Die Laute (German Edition)

Die Laute (German Edition)

Titel: Die Laute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Roes
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düsteres Internetcafé für Spielsüchtige und Pornophile, denen daheim schon der Strom abgestellt oder der Rechner gepfändet wurde.
    Wenn man aus dem Süden hierher kommt und so wenig von Europa weiß, wie ich damals wusste, steht Nowa Huta zuerst einmal für das ganze Europa: grauer Rauputz, löchriger Asphalt, bröckelnde Plattenbauten, kahle komatöse Bäume, nur kurze Zeit im Jahr begrünt, kohlenstaubbraune Winterluft, Bänke mitten auf der Straße, jede von ihnen offenbar vermietet, und natürlich diese vielen alten Menschen, immer allein oder in Begleitung anderer alter Menschen, nie mit Jüngeren zusammen, sodass der Zugereiste sich fragt, was wohl mit all den jungen Leuten geschehen sein mag.
    Natürlich gibt es sie auch, die jungen Leute, wenngleich in geringerer Zahl als bei uns im Süden und tagsüber nahezu unsichtbar. Womöglich würden sie gerne etwas verändern, würden vielleicht Leben in die sorgfältig gejäteten Blumenbeete auf dem Zentralplatz bringen wollen. Aber die alten Bewohner, die als junge Arbeiter hierher gezogen sind, halten diese jungen Leute für viel zu lebendig, zu unruhig, als dass sie ihnen Eingriffe in ihre gewohnte Tristesse erlauben würden. Sie wollen keine Veränderungen mehr. Sie wollen einfach ihre Ruhe haben.
    Als ich an der Chemischen Reinigung vorbeikomme, denke ich daran, dass ich Adam immer noch nicht seinen Anzug zurückgebracht habe. Seit dem Wettbewerb bin ich nicht mehr bei ihm gewesen.
    Dabei gibt es keinen Grund, mich zu schämen. Es sind doch allein die Preise und Auszeichnungen, die uns Künstler demütigen.
    Ist es womöglich das Werk selbst, diese verfluchte Oper? Habe ich zuviel von mir hineingearbeitet, sodass es mich nun nackt zeigt, auch wenn Adam das Gegenteil beteuert? Nachdem er meine ersten Entwürfe gründlich studiert hat, reagiert er zunächst gar nicht. Er lässt die Partitur sinken und schaut lange aus dem Fenster auf den Basztowa-Boulevard.
    »Weißt du, Asis«, schreibt er endlich, »genau hier hatten die Hunnen ihre Lager, bevor die Wislanen, diese Frömmler und Hausierer, sie von hier vertrieben.«
    Ich habe keine Ahnung, was Twardowski mir mit seinen mühsam aufs Papier gezwungenen Worten sagen will. Er aber fährt unbeirrt fort: »Die Hunnen kannten keine Stadtmauern und Wälle, wie die Wislanen sie dann errichteten. Trotzdem waren ihre Siedlungen nicht ungeschützt. In einem großen Kreis um das Lager herum begruben sie die Knochen ihrer tapfersten Krieger, auf dass ihre Geister die Lebenden beschützen mögen. Damit die Geister die Lähmung des Todes abschütteln und ihrem Wächteramt nachkommen konnten, genügte es aber nicht, ihre Knochen in die Erde zu pflanzen. Sie mussten auch begossen werden, und zwar mit Blut. Dazu schlachteten die Hunnen einige ihrer treuesten Gefährten, ihre Hunde. Diese Tiere waren nicht jene verächtlichen Kreaturen, für die ihr in der Arabischen Welt sie haltet, auch keine Schoßhündchen oder Winterdelikatessen wie in Südchina. Sie waren die unentbehrlichen Wächter der Siedlungen und wurden nur in Zeiten größter Hungersnot geschlachtet. – Aber Blut war erforderlich, um den Knochen der großen Krieger Leben zu geben. Und nicht irgendein Blut, sondern Herzblut!«
    »Du meinst, es fehlt meinen Entwürfen an Herzblut?«
    »Die Knochen sind da, Asis, und soviel ich sehe, sind es starke Knochen. Aber noch scheinen sie mir blutleer. Noch fehlt das Leben!«
    »Ich habe keinen Hund, nicht mal einen Kanarienvogel oder Hamster, den ich schlachten könnte.«
    »Es handelt sich um ein Gleichnis, Asis, und darüber hinaus auch noch um ein misslungenes. Denn immerhin haben die urbanen Wislanen die Wälle der Großen Hunnenkrieger mühelos überwunden. Trotzdem, glaube ich, musst du etwas Lebendiges opfern und hineinfließen lassen, wenn deine Musik zu leben beginnen soll!«
    Zwar hat man Wildtöter nicht die Augen verbunden, aber doch Hände und Füße gefesselt, allein – wie Cooper sagt – um ihn seine Hilflosigkeit spüren zu lassen. Und Wildtöter scheint an diesem Gefühl des Ausgeliefertseins und der zu erwartenden Marter fast eine Art Gefallen zu finden. »Meine Stunde ist gekommen, glaube ich, und was sein muss, muss sein«, ruft er seinen Folterern nicht ohne Theatralik entgegen. »Wenn ihr darauf versessen seid, mich zu martern, so will ich mein Mögliches tun, sie mannhaft zu ertragen, obwohl kein Mensch sagen kann, wie weit seine Natur Schmerzen auszuhalten vermag, bis es zur Probe gekommen

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