Die Laute (German Edition)
ist.«
Fast Wort für Wort erinnere ich mich an diese Episode im Lager der Huronen. Und ebenso an das Gefühl der Beklemmung und der – Lust, als ich mich im Lesen Seite an Seite mit Wildtöter in der Hand der Huronen befinde. Sind wir nicht deshalb so furchtlos, weil ein geheimes Begehren in Erfüllung geht? Warum fällt mir diese Szene fünfzehn Jahre später hier, auf dem Ronald-Reagan-Platz, wieder ein?
Da außer der Ameisenjagd mich zu Hause nichts erwartet, mache ich einen Abstecher ins verrauchte Internetcafé. Es ist fünf Uhr am Nachmittag, also elf Uhr in Bridgeport. Vielleicht hat Said ja gerade nicht viel zu tun.
war gestern seit ewigen zeiten mal wieder im kino.
hab meinen laden einfach um 8 uhr dicht gemacht.
und was hast du dir angeschaut, was du nicht
umsonst auch im internet hättest sehen können?
avatar von james cameron.
wollte ihn unbedingt in 3d sehen.
hat es sich gelohnt?
2 szenen haben mich echt umgehauen: als jack sullys
hirn mit seinem avatar vernetzt wird, läuft sein avatar
los, unsicher erst, schwankend, dann unbeschwert
wie ein kind. dazu musst du wissen, dass jack sullys
eigener körper gelähmt ist und der typ im rollstuhl sitzt.
kann mir gut vorstellen, was das heißt.
die 2. szene: am ende des films gibt sully diesen
verkrüppelten körper auf und schlüpft ganz in den
künstlichen körper des avatars. glaub mir, asis, wir
werden das alles noch selbst erleben. bald werden
wir unser gehirn so eng mit anderen gehirnen oder
rechnern verknüpfen können, dass wir ihre abenteuer
in unserem kopf wie eigene abenteuer erleben.
aber wir verstehen doch nicht einmal richtig, wie
unser gehirn überhaupt funktioniert. was ist
denn das, ein gedanke, eine vorstellung?
für die vernetzung von hirn und computer oder hirn
und avatar müssen wir gar nicht genau verstehen, wie
es funktioniert. wir manipulieren unseren rechner,
unser rechner manipuliert uns, und wenn wir ins spiel
eingetaucht sind, interessiert uns doch der unterschied
zwischen wirklichkeit und fiktion nicht mehr.
vielleicht hast du recht. es ist wie beim lesen.
plötzlich nehmen wir keine wörter mehr wahr,
sondern erleben die abenteuer in unserem kopf.
aber was ist dann überhaupt noch wirklich?
ganz schön unheimlich, oder? ich sitze hier ja tag für
tag unter kids, die den unterschied zwischen bridgeport
und pandora längst nicht mehr wahrnehmen.
all diese technischen möglichkeiten machen
uns am Ende nicht viel reicher.
hast recht. ich chatte über ozeane hinweg
mit freunden auf anderen kontinenten und
bin trotzdem nur ein einsamer hund.
denkst du, es war ein fehler, nach amerika zu gehen?
weiß nicht. bei uns zuhause geht doch alles
den bach runter. der einzige trost ist, dass
man dort nicht alleine ertrinkt.
hast du nachrichten aus aden?
nur katastrophenmeldungen. bei angriffen auf die
hauptquartiere von geheimdienst und polizei sind am
mittwoch mindestens 20 menschen getötet worden.
die angreifer sind morgens während des appells
auf motorrädern in die menge gerast und haben mit
ihren maschinenpistolen wild um sich geschossen.
klingt wie ein egoshooter.
es war bereits der 3. angriff auf regierungsgebäude
innerhalb einer woche. wenn das so weitergeht,
stehen wir bald vor einem neuen bürgerkrieg.
dann bleiben wir wohl besser, wo wir sind.
hattest du etwa vor, in den jemen zurückzukehren?
habe wegen der geschichte mit den druckerbomben
meinen job bei ups verloren. für jemeniten ist es im
augenblick nicht gerade einfach im ausland. – glaubst
du, jack sully kann am ende ›wirklich‹ wieder laufen?
keine ahnung. wenn ›wirklich‹ das ist, was unser
gehirn für wirklich hält, kann er es wohl.
und der eigene körper spielt dabei keine rolle?
spätestens wenn’s weh tut, meldet sich
eine andere wirklichkeit zurück.
klingt so, als gäbe es mehrere wirklichkeiten.
schon möglich. übrigens, wie geht’s
mit deiner oper voran?
sie häutet sich weiter.
und nimmt gestalt an?
oder verliert sie gerade.
Zurück in meiner Wohnung gebe ich kleine Tropfen Lavendelöl in alle Ecken der Küche, denn die Ameisenpfade führen immer an den Bodenleisten entlang. Ich vermute, dass sich hinter einer dieser Leisten auch der Zugang zu meiner Küche befindet. Ich wüsste nicht, wie diese Armee sonst hereingelangt sein könnte. Das Fenster ist wegen des Straßenlärms und der rußigen Luft so gut wie immer geschlossen. Nur Cześka verlangte während ihrer Besuche stets
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