Die Laute (German Edition)
ein offenes Fenster, egal wie kalt oder warm oder vergiftet die Luft auf der Ludźmierska gerade war. – Nun riecht es in meiner Küche wie in Mutters Wäschetruhe, in der sie immer Lavendelblütensäckchen zwischen die Wäsche legte.
Dann lege ich mich ins Bett, auch wenn es viel zu früh ist, um schon schlafen zu gehen. Außerdem ist mein Schlaf-Wach-Rhythmus noch auf fünf Nachtschichten in der Woche eingestellt. Vielleicht ist es der Lavendelduft, der mich müde macht.
Die Erschütterungen aus der Wohnung über mir sind vermutlich nicht stärker, als ein ganz alltägliches Leben sie hervorruft, zu gering also, um sich ständig über sie zu beschweren, doch so deutlich spürbar, dass sie mich aus meinen Gedanken reißen, meinen Träumen, meinem Schlaf. Seit Elena Towarzystwa ausgezogen ist, scheint auch der Schlaf-Wach-Rhythmus Bogdans aus den Fugen geraten zu sein. Mal geht er um zwei oder drei Uhr morgens schlafen, mal steht er um fünf Uhr morgens auf. Und immer nehme ich ungewollt daran teil.
Ich weiß, wie schnell man am Computer die Zeit vergisst. Mir ging es ja ähnlich. Wahrscheinlich ist das grelle Monitorlicht daran schuld, dass unser Gehirn am Ende nicht mehr weiß, ob es gerade Tag oder Nacht ist. Und wenn ich nicht rechtzeitig am Abend meine Arbeit am Rechner eingestellt hatte, ratterte es in meinem Kopf weiter, und auch mir ist es dann nicht selten passiert, dass mich mitten in der Nacht ein Gedanke, eine Idee geweckt hat, die ich unbedingt festhalten oder ausprobieren musste. Also habe ich den Laptop um drei oder vier noch einmal hochgefahren, doch anstatt den Einfall rasch einzugeben und das Ding gleich wieder auszuschalten, habe ich dann bis zum Mittag vor dem Monitor gesessen, müde, unkonzentriert und trotzdem unfähig, mich aus seiner süchtig machenden Umarmung zu befreien.
Ich verstehe Bogdans unberechenbaren Alltag, und doch reicht das Verständnis nicht, mich mit den damit verbundenen Ausläufern abzufinden. Im Gegenteil, von Tag zu Tag nimmt meine Empfindlichkeit zu, so, wie man eine bereits wunde Hautstelle ständig weiter reizt. Schläft dieser Mensch denn nie? Kann er nicht mal ein paar Tage Urlaub machen oder wenigstens für ein paar Stunden am Tag das Haus verlassen?
Ich habe das Gefühl, ich sei gerade erst eingeschlafen, was aber nicht stimmen kann, das Leuchtzifferblatt der Funkuhr auf meinem Nachtschränkchen zeigt 2.31 Uhr an. Bogdan trampelt von seinem Schlafzimmer ins Bad, dann erschüttert die Klospülung und das Abwasser im Fallrohr mein Schlafzimmer. Diese Art von Lärm ist wie eine ungewollte intime Berührung. Tastsinn und Hörsinn sind für mich eins. Sie treffen sich dort, wo die niedrigen hörbaren Frequenzen in taktile Schwingungen übergehen, also bei ungefähr zwanzig Hertz. Und wer lässt sich schon gerne von der Notdurft seines Nachbarn ständig berühren!
An ein erneutes schnelles Einschlafen ist gar nicht zu denken. Aus Mordphantasien werden Anschlagspläne. Ich stehe auf, gehe in die Küche, suche den Sekundenkleber aus der Krimskramsschublade und schleiche in T-Shirt und Shorts aus meiner Wohnung zu den Briefkästen hinunter.
Über den Briefkästen hängt eine hölzerne Anschlagtafel mit den Namen aller Mietparteien und der Hausordnung. Je länger die Mieter im Haus wohnen, umso so sorgfältiger sind die Namensschilder gezeichnet oder gedruckt. Von den neuen Mietern wie Bogdan geben sich manche nicht einmal die Mühe, ein eigenes Namensschild herzustellen, sondern streichen einfach nur den Namen ihres Vormieters aus und kritzeln nahezu unleserlich ihren eigenen Namen darüber.
Neben dem Etagenplan mit den Mieternamen hängt die Hausordnung. Sie ist ordentlich ausgedruckt und mit dem Briefkopf des Vermieters versehen. Niemand hat bisher bemerkt, dass es sich um eine Fälschung handelt. Nicht einmal der Vermieter selbst, falls er sich denn hin und wieder mal in dieser vernachlässigten Immobilie blicken lässt. – Sie beginnt wie die Originalhausordnung. Die Mieter hätten darauf zu achten, dass die Haustür von acht Uhr abends bis sieben Uhr morgens verschlossen bleibe. Doch dann hieß es, von zweiundzwanzig bis sechs Uhr und zwischen dreizehn und vierzehn Uhr seien die Ruhezeiten zu beachten. Ich habe, in Rücksicht auf die Gesundheit aller, die Ruhezeiten von zwanzig bis acht Uhr und von zwölf bis sechzehn Uhr ausgedehnt und für jede Missachtung eine umgehende Kündigung angedroht. – Doch wer liest heutzutage noch Hausordnungen? Von ihrer
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