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Die Laute (German Edition)

Die Laute (German Edition)

Titel: Die Laute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Roes
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dieser Bio-Hygieniker und Retter der Welt zu bekämpfen?
    Wie öde, wie stumpf, wie ereignisarm, ja geradezu erstickend der Alltag in Nowa Huta ist! Dazu diese provozierend reine Wintersonne an einem makellosen Himmel, wo der Morgen doch so vielversprechend begann! Ich reiße das Fenster auf und beginne mit dem Geschirrstapel in der Spüle, dann sind die Fliesen und Scheuerleisten dran. Und da ich schon mal dabei bin, zu einer gut integrierten Ameise im Arbeiterstaat zu mutieren, ziehe ich auch gleich mein Bett ab, in dessen Laken sich Cześkas Zelluloidgeruch festgesetzt hat, und schnüre ein kompaktes Bündel Kochwäsche für den Besuch des Waschsalons am plac Centralny.
    Hier scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Hier hat es keine Wende, wohin auch immer, gegeben. Allenfalls mögen aus Arbeitern Arbeitslose oder Frührentner geworden sein.
    Natürlich könne ich nichts dafür, wenn irgendwelche durchgeknallten Afghanistanveteranen in der Rub al-Khali Plastiksprengstoff, den ihnen irgendein obskurer Geheimdienst samt Paketkarten frei Haus, Höhle oder Zelt geliefert habe, in Geschenkpapier wickelten und an den Präsidenten der Vereinigten Staaten adressierten. – Der Personalchef von UPS ist höflich und zeigt aufrichtiges Bedauern. Aber die Entscheidung liege nun einmal nicht in seinen Händen, sie sei an höherer Stelle gefallen.
    Klar, am Ende ist niemand verantwortlich. Jeder führt nur aus, was die Umstände von ihm verlangen. Und mit den Umständen lässt sich nicht diskutieren. Sie sind, wie sie sind. Hasserfüllte Analphabeten mit jemenitischen Pässen schicken explosive Drucker um die Welt, und, so der Syllogismus, jeder Jemenit ist ein potenzieller Sprengstoffattentäter, wenn nicht gar ein Analphabet. Macieks allerorten. Das ist so abseits aller Vernunft, dass eigentlich gar kein anderer Weg bleibt, alle diese hinzunehmenden ›Umstände‹ in die Luft zu jagen.
    Anstatt mich endlich auf die Suche nach einem neuen Job zu begeben, lege ich mich wieder ins immerhin frischbezogene Bett. Alles in mir ist müde, müde vor Unruhe. Wann ist mir die Kontrolle über mein Leben entglitten? Ist ›Kontrolle‹ nicht von jeher eine Illusion? Alle entscheidenden Kräfte haben unkontrollierbar von außen auf mich eingewirkt. Ich konnte sie allenfalls annehmen lernen. So lange ich denken kann, habe ich mich gegen die zutiefst in mich hineingeprügelte Überzeugung gewehrt, alles im Leben sei vorherbestimmt, und trotzdem habe der Mensch die Verantwortung für das zu übernehmen, was er nie willentlich gewählt hat. Als junger Mann hat mich dieser Fatalismus empört. Nun sehe ich ein, dass wir keine Chance haben, unserem Schicksal zu entkommen, und dass es dem Schicksal vollkommen gleichgültig ist, ja dass es uns für das, was es uns unverständlicherweise auferlegt, auch noch zur Rechenschaft zieht. Für das Schicksal sind wir nichts anderes als eine Wanderameise, die weiß, dass sie eine Wanderameise ist.
    Sie heißt Jasmine Szcupłośka, und unpassender könnte kein Name sein. Sie ist fett wie ein Eisbein und riecht auch in etwa so wie das Fettstück in der Tiefkühltruhe meines Supermarktes. Sie trägt immer dasselbe schwarze Kleid, vielleicht in dem Glauben, schwarz mache ›schlank‹, und über diesem Trauerkleid eine grünfleckige Schürze. Sie wohnt im Parterre, direkt neben Frau Szymborska. Selbst durch die geschlossene Wohnungstür dringt der Rauch ihrer billigen Zigaretten und der Geruch nach Hundefutter aus der Büchse, das gerade angebraten wird. Dabei besitzt sie gar keinen Hund, aber eine Katze, die sie auf den Namen ›Persil‹ getauft hat.
    Jasmine S. ist die einzige Mieterin in meinem Wohnblock, die mich weiterhin grüßt. Womöglich liest sie ja keine Zeitungen.
    So sprichwörtlich und vielfach begründet die Ähnlichkeit zwischen Hundebesitzern und ihren räudigen Kläffern ist, für Katzenbesitzern und ihre getigerten Bestien gilt sie offenbar nicht. Vermutlich verstehen Katzen es besser, sich von ihren nicht selten doch eher unansehnlichen Herrchen oder Frauchen abzugrenzen. So auch Persil, die ein asphaltgraues Katzenfell trägt, mager und knochig wie eine Vegetarierin ist und zweifellos nur passiv raucht, dafür aber regelmäßig ins Treppenhaus pisst. Nun, da ich gerade begonnen habe, mein Leben zu ändern und ein wenig Ordnung zu schaffen, finde ich diese halbgetrocknete Pfütze vor meiner Wohnungstür. Und von Rafał stammt sie sicher nicht.
    Hätte ich Persil in flagranti erwischt,

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