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Die Laute (German Edition)

Die Laute (German Edition)

Titel: Die Laute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Roes
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Videospiel, aber nicht in die Bauchmitte, sondern in die rechte Seite, etwa auf Höhe der Leber, und zieht die Klinge dann, in immer noch der einen, selben Bewegung quer über den Bauch bis zur linken Seite.
    Wieder warte ich vergeblich auf das Aufblitzen der Schusswaffe. Vielleicht hat der Junge ja abgedrückt, und sie war nicht geladen. Vielleicht aber braucht es doch mehr Mut, jemanden kaltblütig zu töten, als sich töten zu lassen.
    Ehe mein Waggon diesen hinteren Teil des Bahnsteigs passiert hat, wendet der Mann mit der entstellenden Brille kurz seinen Kopf dem ausfahrenden Zug zu, sodass unsere Blicke sich für einen Moment treffen, und trotz der zunehmenden Geschwindigkeit und des ungünstigen Lichts glaube ich, ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, was er hier um diese Zeit zu suchen haben könnte, dass Bogdan Wolski auch mich erkannt hat.

Das Fahrrad ist fast zweidimensional, zeichenhaft, abstrakt. Als Hieroglyphe auf einem ägyptischen Obelisken wäre kaum eine weitere Abstraktion nötig. Seine Silhouette ist streng wie eine geometrische Figur Euklids. So hat denn auch der
Diamant
rahmen nichts mit dem gleichnamigen Edelstein zu tun, sondern mit dem englischen Wort
diamond
für Raute, also den rautenförmigen Stahlrahmen
.
    Natürlich habe ich ausgiebig recherchiert, bevor ich mich von Rafał auf diese Erfindung setzen ließ
.
    Die Antwort auf die Frage, warum überhaupt etwas sei und nicht viel mehr nichts, ist in die unendliche Abschüssigkeit entschwunden. Sich abfinden mit der melancholischen Neigung der Welt, dass alles, was man von ihr zu wissen glaubt, am Ende doch ins Rutschen gerät
.
    In Krakau glaubt man, dass das Ende der Welt hier seinen Anfang nähme, und zwar dann, wenn die Knochen, die über dem Haupteingang der Kathedrale hängen, zu Boden fallen. Eine Walrippe, ein Mammut- und ein Nashornoberschenkel
.
    Diesen Glauben teilen die Krakauer mit den Adenern. Auch in Aden reklamiert man den Anfang des Endes für sich, nämlich dann, wenn der erloschene Vulkan, auf dem die Adener ihre Altstadt Crater errichtet haben, zu neuem Leben erwacht. Der Kraterschlund soll die direkte Verbindung zur Hölle sein
.
    Da ist sie, die Welt, rast an mir vorbei. Wenn man zu Fuß geht, scheint sie nahezu stillzustehen. Doch nun dreht sie sich unter meinen Rädern fort, in ihrer wahren, atemberaubenden Geschwindigkeit. Sie ist da, ich spüre sie, den Wind, den sie macht, auch wenn sie nichts von mir verlangt, als still zu sitzen. Sie rauscht vorbei, aber drängt sich nicht auf. Kein Grund zur Panik! Eher Gelegenheit, mit dem Körper auch die Gedanken schweifen zu lassen. Von Vergangenem zu träumen, wenn man schon von der Zukunft keine Rettung mehr erwartet
.
    Meine Gedanken fließen am besten, wenn mein äußeres Dasein stillzustehen scheint. Deswegen ist mein sehnlichster Wunsch, dass nichts geschieht, nichts sich bewegt, die ganze Welt sich langweilt. Dann ist mein Verstand hellwach
.
    Merkwürdig für ein arabisches Auge sind, fast zweihundert Jahre nach seiner Erfindung, vor allem die jungen Mädchen und Frauen auf Rädern. Vielleicht hat sich deshalb das Fahrrad in der arabischen Welt nicht durchsetzen können: Es bedeutete das Ende knöchellanger Überwürfe, sichtbehindernder Schleier, männlicher Aufsicht und begrenzten Bewegungsspielraums. Das Radfahren erfordert starke Nerven, kräftige Beine, bequeme Kleidung, Bewegungsfreiheit und -freude und Orientierungssinn, mit einem Wort: Emanzipation
.
    Hat das Fahrrad nicht Ähnlichkeit mit einem klugen, mageren Mann? Es bewegt sich wie ein Blitz bei klarem Himmel, gleitet über die geteerte Straße, haarscharf und lautlos wie die Klinge eines Rasiermessers. Wen wundert es da noch, dass Brüder und Väter in der muslimischen Welt ihren Schwestern und Töchtern nicht erlauben, von einem Ritt auf diesem windigen Gerät auch nur zu träumen
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49
    »Plötzliche Freundschaften führen zu langen Feindschaften.« Warum erinnert er sich gerade an diesen Satz? Die schöne Judith spricht ihn bei ihrem ersten vertrauten Gespräch auf der Arche zum arglosen Wildhüter. Jetzt, da er das Buch zurückstellen will, fällt er ihm wieder ein. Seit seiner Entlassung aus der Klinik hat er das Buch nicht mehr angerührt, obwohl es ihm doch das liebste war. Oder gerade deswegen?
    Er sucht sich ein neues Buch, einen Roman. Nur keine Gedichte! Und greift zu einem ihm noch vollkommen unbekannten Autor, Joseph Conrad, von dem sich fünf in Leinen gebundene Bände in Alis

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