Die Laute (German Edition)
Gelegenheit sucht, in Ruhe mit ihm zu sprechen.
Es ist Samstag, der erste Wochentag. »Ich bin auf dem Weg zur Moschee!« antwortet Asis. Sein Vater geht regelmäßig zur Moschee. Und es ist ihm nicht entgangen, dass sein Sohn es mit dem Moscheebesuch nicht mehr so genau nimmt. Ihm ist der Glaube wichtig, die täglichen Gebete, auch wenn er selbst nicht recht weiß, an wen sich die Gebete richten. Ihm gegenüber hat Gott immer geschwiegen. – Ohne auf Asis’ Hilfe zu bestehen, lässt er seinen Sohn ziehen.
Asis macht sich auf den Weg. Als er nach einer Entschuldigung suchte, seinem Vater nicht zur Hand gehen zu müssen, war er selbst noch fest davon überzeugt, dass er zum Gebet in die Moschee gehen wolle. Früher haben sie um diese Zeit Fußball gespielt. Oft haben die alten bärtigen Männer, die sich hier für alles verantwortlich fühlen, selbst für die Söhne anderer Leute, mit ihnen geschimpft. Aber das hat ihnen, zumindest in den letzten Jahren, seit sie sich schon erwachsen fühlen, nichts ausgemacht. Im Gegenteil!
Nun führt sein Schritt ihn weder zur Moschee noch zum Fußballplatz. Noch redet er sich ein, dass es ein harmloser, nein, ein notwendiger Spaziergang sei, um seinen Kopf von diesem schmerzhaften Lärm zu befreien, der seit einiger Zeit in ihm tost und von Tag zu Tag anschwillt. Doch diesmal ist er selbst es, der sich belügt.
Seine Schritte führen ihn vor das Haus der Khasamis. Wie oft ist er diesen Weg gegangen, um Hamid zum Fußballspielen abzuholen oder ihn nach dem Training nach Hause zu begleiten, aber nie um diese Tageszeit, weil Hamids Vater als strenggläubiger Muslim gilt und es nie geduldet hätte, dass sein Sohn während des Mittagsgebets auf einem staubigen Aschenplatz im Tor steht.
Vor dem Haus verlangsamt Asis seinen Schritt. Was hat er hier zu suchen? Es ist ein neuer, fremder Asis, der zum Beit al-Khasami getrieben wird, aber nicht Hamids oder irgendeines Kinderspiels wegen. Er hat eine Ahnung, was der Name dieser Krankheit sein könnte, fürchtet sich jedoch, ihn auszusprechen. Es gibt niemanden, mit dem er darüber reden könnte. Seine Freunde würden ihn auslachen, sein Vater würde sich seiner schämen.
Das Tor ist geschlossen, ebenso die kleinen Fenster zur Straße hin. Das Haus wirkt leer und verlassen. Die Männer sind an ihren Arbeitsstellen oder in der Moschee, die Kinder noch in der Schule und die Frauen – Asis’ Herz schlägt so heftig, als wolle es zerspringen. Wären Türen und Fenster nicht geschlossen, müsste man seinen Herzschlag bis in die verborgenste Kammer hören!
Warum bleibt er stehen und geht nicht weiter? Auf wen wartet er? War da nicht ein Schatten hinter einem der Alabasterfenster im ersten Stock? Dann glaubt er, eine Stimme zu hören: »Asis? Was machst du hier, Asis?« – Er lächelt. Sie klingt der ihres Bruders täuschend ähnlich. Kein Wunder, da Hamid doch nie einen richtigen Stimmbruch hatte.
»Warum starrst du unser Haus an?« – Zärtlichgrob legt sich eine Hand um seinen Nacken. Eine schwielige Hand. Eine Torwarthand.
Asis befreit sich aus dem kameradschaftlichen Würgegriff und weiß, ehe er sich umgedreht hat: Es ist Hamid.
Der Freund sieht verärgert aus: »Sag nicht, du spielst jetzt wieder Fußball, nachdem du uns monatelang im Stich gelassen hast! Raschid die Hasenscharte stürmt nun für uns!«
Asis schweigt.
»Was ist los? Hast du deine Zunge verschluckt?«
10
Niemand sieht Asis. Er sitzt verborgen auf dem Hausdach gegenüber vom Beit al-Khasami. Aber jeder in der Gasse und den angrenzenden Häusern hört ihn und weiß, es ist der Junge, der auf Nassar Khasamis Hochzeit Bilal, den Meister aus Dschibla, herausgefordert hat. Und so rasch wie ein Gerücht verbreitet sich auch die Kenntnis, für wen er Abend für Abend spielt, obwohl sie doch längst einem anderen versprochen ist. Dabei handelt es sich bei dem begnadeten Spieler doch um einen Jungen, der noch nicht einmal im heiratsfähigen Alter ist!
Niemand, nicht einmal ein Kind oder einer der Alten, tritt auf die schmale Gasse hinaus. Aber alle, die Kinder, die Alten, die Männer und Frauen lauschen. Jeder weiß, aus Erfahrung oder vergeblicher Sehnsucht, dass diese nie zuvor gehörten Klänge die Liebe beschwören. Wo zaubert dieser noch so unerfahrene Knabe nur seine magischen Töne her? Er ist doch nur ein einfacher Flickschustersohn!
Jeder Ton scheint aus dem Augenblick geboren, reiht sich aber rein wie ein funkelnder Edelstein an den vorangegangenen zu einer
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