Die Laute (German Edition)
will deine Geheimnisse nicht wissen!«, gebärde ich trotzig zurück.
»Nun erzähle ich es dir erst recht! Als nach der Uraufführung meiner Sonate für Klavier und Englisch-Horn keine einzige Kritik erschien, habe ich sie selber geschrieben und unter Pseudonym im Internet veröffentlicht.«
»Du bist wohl kaum der erste Künstler, der seine Lobeshymnen selber schreibt.«
»Es war keine Lobeshymne, es war ein scharfer Verriss!«
»Okay, wer kennt die Schwächen unserer Werke besser als wir selbst. Aber warum das Ganze?«
»Plötzlich gab es ein Dutzend Verteidiger meines Werks und wütende Angriffe bis hin zu Morddrohungen gegen den Verreißer. Seither hat es keine Verrisse mehr gegeben, zumindest keine derart vernichtenden.«
»Stammten die Morddrohungen auch aus deiner Feder?«
»Soweit ging meine Perfidie dann doch nicht.«
Das Wort ›Perfidie‹ lässt mich an die Potenzmittel-Spam denken, die ich nicht als Spam markieren kann, weil sie meine eigene E-Mail-Adresse als Absender trägt. – In der Welt der Gebärden drückt sie sich natürlich nur in der schlichten Geste für ›Bosheit‹ aus.
Ich liege die ganze Nacht über wach. Märchen spuken mir im Kopf herum, die in Wäldern spielen. In dunklen, nordeuropäischen Fichtenwäldern. Rotkäppchen. Des Teufels drei goldene Haare. Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen. Diese Märchen sind anders als jene aus Tausend und einer Nacht, vielleicht ja wegen dieser Wälder. Auf einer Waldlichtung erzählt man andere Geschichten als am Rand der Wüste.
Während ich wach liege, schläft Rafał wie ein Lamm. Immer wieder schaue ich zu ihm hinüber. Nein, er täuscht diesen Schlaf nicht vor, sein Gesicht ist vollkommen entspannt, und hinter seinen geschlossenen Lidern folgen seine Pupillen den Traumabenteuern. Keinen unheimlichen, unbeherrschbaren, sondern aufregenden und lustvollen Abenteuern, in denen der Träumende immer Herr der Lage bleibt.
Wenn er tatsächlich nie mit einem anderen Menschen in einem Raum zusammen hat schlafen können, so gilt es nicht für uns. Offenbar bin ich eine Ausnahme, ein Zimmergenosse, in dessen Gegenwart es nichts zu befürchten gibt, zumindest nichts für ihn. Vielleicht bin ich auch nur der Symptomträger: Meine Schlaflosigkeit erlaubt ihm, in Frieden auszuruhen. Ich weiß nicht, ob ich erleichtert oder verärgert darüber sein soll.
Ich stehe auf, gehe zu seinem Bett und beuge mich über ihn. Versuche zu sehen, was er sieht. Das Gesicht eines Kindes. Ich könnte ein Kissen darauf drücken, und er würde sich nicht wehren. Ich könnte ihn wecken, und er wäre nicht überrascht. Und plötzlich weiß ich, von was er gerade träumt: Er fliegt, ganz leicht, selbstverständlich, wie eine Schwalbe, ein Falke, aus eigener Kraft, ohne jede Furcht, abzustürzen und sich das Genick zu brechen.
Schon Mittag, und ich liege immer noch im Bett. Ich stehe kurz auf, gehe in die Küche und koche frischen Tee. Dann öffne ich das Chat-Fenster auf dem Rechner.
salam aleikum, ja-achi. wie geht es dir?
hast du endlich eine neue freundin?
nerv mich nicht, said! es gibt wichtigeres
auf der welt als frauen!
zum beispiel?
zum beispiel habe ich endlich einen neuen job gefunden!
und, gibts denn wenigstens an deinem
neuen arbeitsplatz ein paar attraktive frauen?
nein, es ist fast wie zuhause. es arbeiten
nur männer dort. vietnamesen.
Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es überhaupt Vietnamesinnen gibt. Auch in der Packhalle von UPS waren es nur Männer. Und während die polnischen Kollegen immer nur über Frauen redeten, auch wenn sie so aussahen, dass sicher keine Frau auch nur ein Wort über sie verlieren würde, schienen die Vietnamesen das Wort ›Frau‹ nicht einmal zu kennen.
was ist denn das für ein verein?
eine vietnamesische triade?
ein vietnamesisches restaurant.
und die stellen einen gehörlosen kellner ein?
ich arbeite in der küche.
Fünf Tage in der Woche. Die halbe Nacht. Der Lohn reicht gerade für die Miete. Und muss auch noch froh sein über diesen miserablen Job. Die polnischen Kollegen hätten nicht einmal ernsthaft nachgedacht. Es ist Hu, der mir das
Cao Dai
in Podgorze empfiehlt.
Cao Dai
heißt ›Großer Palast‹. Wenn die Paläste in Vietnam so aussehen, würde ich dort nicht König sein wollen.
Es arbeiten sonst nur Vietnamesen dort. Illegal. Eine geschlossene Gesellschaft. Meine Gehörlosigkeit stört nicht. War vielleicht sogar Einstellungsvoraussetzung. Ansonsten ein wirklich ätzender Job.
Weitere Kostenlose Bücher