Die Laute (German Edition)

Unsichtbar in der Spülküche. Kleidung, Haare und Haut stinken nach einer Schicht so sehr nach verbranntem Schweinefett, dass man sie eigentlich nur noch in die Tonne für die biologischen Abfälle werfen kann.
    Aber ich darf mich an den Resten satt essen. Niemand sagt etwas. Zumindest bekomme ich davon nichts mit. Und habe Zeit für den überlebenswichtigen Unsinn, der mir sonst noch auf der Seele brennt, unhörbare Opern, Chats mit Said …
    sitzt du noch am rechner, asis?
    nein, ich lieg mit meinem rechner im bett.
    ich sag ja, du brauchst endlich eine neue freundin!
    können wir vielleicht mal über was
    anderes reden als über frauen?
    zum beispiel?
    über bridgeport, aden, Gott und den
    rest der welt … was weiß ich?
    sollte es Gott tatsächlich geben, so geht
    er mir schon lang am arsch vorbei.
    du glaubst nicht mehr an Gott?
    ich glaub nicht einmal mehr an bridgeport. und
    wie heißt noch mal das kaff, aus dem ich angeblich
    stamme? keine ahnung, ob es den ort je gegeben hat!
    mir geht es wie dir. im grunde weiß ich nicht
    mal, mit wem ich da gerade chatte!
    sicher nicht mehr mit dem said, der vor 15
    jahren mal zu dir ins bett gekrochen ist.
    ja, du bist verdammt weit weg, fast in einer anderen welt.
    war ich das nicht immer schon, selbst als wir
    noch ein zimmer miteinander geteilt haben?
    auch damals war es schon einfacher,
    online mit dir zu reden.
    mag sein. doch vergiss nie, dass du für mich
    wie ein bruder bist und immer sein wirst!
    gibt es eigentlich auch im koran einen
    vers wie in der bibel, dass Gott uns nach
    seinem ebenbild geschaffen hat?
    das steht in der bibel?
    ja, gleich am anfang.
    seit wann liest du so ein zeug?
    bin zufällig draufgestoßen. gab in dem
    hotelzimmer nichts anderes zu lesen.
    was hast du in einem hotelzimmer verloren?
    arbeitest du nun auch noch als zimmermädchen?
    skiurlaub in zakopane. – und? steht
    was ähnliches auch im koran?
    keine ahnung. aber es würde mich wundern. bei uns
    ist doch jeder auf die wahrung seines eigenen gesichts
    bedacht, selbst Gott. stell dir die riesenenttäuschung
    vor, wenn es sich plötzlich gar nicht mehr von
    den visagen der anderen unterschiede!
    meins von deinem?
    ja, oder von Gottes herrlichem antlitz. doch
    Gott sei dank sind wir ja nun weit fort vom
    land der maskierten gesichter. hier können
    wir endlich unsere wahren fratzen zeigen.
    wenn das mal so einfach wäre! erzähl mir nicht,
    dass man in amerika sein wahres gesicht zeigt!
    wieso? hast du in polen etwa einen guten ruf zu
    verlieren? der spielt doch nur eine rolle, wenn der
    eigene vater in der nähe ist und es mitbekommt.
    ich habe ihn gesehen, hier in nowa huta.
    wen?
    meinen vater.
    scheiße, bruder. wird zeit, dass du die vergangenheit
    endlich begräbst! selbst wenn du einmal zurückkommen
    solltest, wird nichts mehr so sein wie früher. das
    land hat sich verändert, und du hast dich verändert.
    dort wirst du dich noch fremder fühlen als unter
    deinen schweinefleisch brutzelnden vietnamesen.
    hast du vor, in nächster zeit mal nach aden zu fliegen?
    einen teufel werde ich tun! seit jahren nervt ali mich,
    endlich zurückzukommen. und warum?
    um eine cousine aus seinem dorf in abjan zu
    heiraten! als gäbe es in bridgeport keine frauen!
    frauen, ja, aber auch ehefrauen?
    jetzt fang nicht auch du noch an! weißt du, was
    zuhause gerade los ist? tote in sanaa, tote in
    aden, ein präsident, der seine eigene bevölkerung
    zusammenschießen lässt … genau die richtige zeit
    und der richtige ort, um eine familie zu gründen und
    ein dutzend kleiner stammeskrieger in die welt zu
    setzen! und selbst wenn ich wollte, könnte ich im
    augenblick nicht zurückkehren. alle flughäfen sind
    geschlossen, auf den straßen herrscht bürgerkrieg!
    »Was mich betrifft, ich suche mein Ende nicht, aber ich suche auch die Ehe nicht.«
    Das sagt nicht Said, sage nicht ich, das spricht Wildtöter zum Huronenhäuptling Rivenoak, als dieser ihm anbietet, Sumach, die Frau eines von ihm getöteten Kriegers zu heiraten und zu versorgen. Damit könnte er sein Leben retten. Doch offenbar ist Wildtöter ein Ende unter schrecklichen Martern lieber als diese Ehe. – Ein merkwürdiger Mann, dieser Nathaniel Bumppo, genannt Wildtöter. Und mir gleichzeitig so nah wie ein Bruder. Eher ein Knabe als ein Mann, trotz seiner zwanzig Lebensjahre. Stromert lieber mit seinem Freund und Blutsbruder Chingachgook durch den Urwald, als sich um die Gründung einer Familie zu kümmern.
    Aber Chingachgook,