Die Laute (German Edition)
Asis eine Welle von Wehmut, hier, zwischen den Schafen neben Rauf, das bescheidene Picknick auf ihrem Schoß, umgeben vom strengen Geruch nach Schafswolle und Urin. Er lehnt sich zurück und lässt seinen Kopf auf Raufs Schulter sinken.
»Am Anfang liebt man jemanden wegen seiner besonderen Eigenschaften,« gebärdet Rauf. »Aber dann verändert sich die Liebe, und nicht mehr die außergewöhnliche Schönheit oder Klugheit des anderen sind der Grund für die Liebe. Nun liebt man seine Eigenschaften, und sei es auch nur ein besonderer Geruch oder die außergewöhnliche Form seiner Füße, weil man diesen besonderen Menschen liebt.«
»Ich muss dich enttäuschen, Rauf«, entgegnet Asis lächelnd. »Es ist leider nicht mein eigener Geruch, der meinen lieblichen Füßen entströmt, sondern der strenge Blasenduft dieser gierigen Dame hier!« – Rauf schüttelt mit übertriebener Empörung Asis’ Kopf von seiner Schulter.
»Du glaubst doch nicht etwa, ich hätte von dir geredet!«
»Nein, das ist mir natürlich klar«, entgegnet Asis gutmütig. »Aber ich verstehe, was du meinst. In meiner früheren Fußballmannschaft war ein Junge mit einem total lächerlichen Namen. Sununu hieß er,
Schwalbe
. Wie haben wir uns am Anfang über ihn lustig gemacht! Doch war er ein hervorragender Stürmer und ein guter Mannschaftskamerad. Am Ende mochte ich ihn so gern, dass ich schon meinen Erstgeborenen Sununu nennen wollte. Sununu war kein alberner Name mehr für einen Jungen, sondern klang in meinen Ohren nach Ausdauer, Geschick und Kampfgeist.« – Rauf nickt und gebärdet, Asis könne sich nun wieder an ihn lehnen.
Eine scharfe Bremsung weckt Asis auf. Fragend blickt er zu Rauf. Ehe Rauf antworten kann, richten sich zwei Gewehrläufe durch die verängstigten Schafsleiber auf die beiden jungen Männer. Einer der Bewaffneten stößt ein kurzes hartes Kommando aus, dessen Bedeutung sie eher erahnen als verstehen. Der bärtige Mann drückt seinen Gewehrlauf gegen Asis’ Brustbein. Asis weist auf seine Ohren und formuliert mit den Lippen das Wort
taub
. Er weiß nicht, ob der Mann ihn verstanden hat. Sein dichter schwarzer Bart verdeckt den größten Teil seines Gesichts.
Der zweite Bewaffnete, auch er bärtig, wenn auch nur von eher fransiger Natur, beugt sich von der anderen Seite zu Asis und streicht mit seiner freien Hand über Asis’ Haar, dann tätschelt er sein Gesicht und grinst breit. Die Finger des Mannes sind dreckig und riechen strenger als der Schafsurin. Vielleicht lebt er hier in den Bergen. Asis hat von den Gerüchten über geheime Ausbildungslager gehört, die es hier irgendwo in den einsamen Bergregionen des Südens geben soll. Asis spürt keine Furcht, sondern nur Abscheu. Aber seine Miene bleibt vollkommen reglos.
Die bärtigen Männer fordern die beiden Jungen auf, von der Ladefläche zu steigen. Am Straßenrand stehen bereits Scheich Abdul Rahman, Aïscha, seine Frau, und Muhammad al-Binti, Besitzer dieser stolzen Schafsherde. Zwei weitere Bewaffnete haben ihre Flinten auf die kleine Gruppe gerichtet.
Scheich Abdul Rahman fragt die Männer, was sie von ihnen wollten. Jener, der Asis’ Gesicht getätschelt hat, antwortet, sie seien nur eine Gruppe mittelloser Soldaten. Sie müssten leider die Schafe und den Wagen konfiszieren. Die Dörfler sollten sich den Schaden von der Regierung ersetzen lassen.
»Der Teufel soll mich holen, wenn ich das tue!«, schreit Muhammad al-Binti erbost und zieht seinen Krummdolch. Die Gewehre und die Pistolen haben die Straßenräuber den Männern aus Am Hadidah bereits abgenommen.
Der dünnbärtige Wortführer lacht über Muhammads sinnlosen Zorn. Scheich Abdul Rahman und seine Frau hingegen scheinen die Ruhe selbst zu sein. Der Dünnbärtige öffnet die Tür zum Fahrerhaus, ergreift die Taschen und Beutel der Scheicha und schüttet sie auf der Straße aus, sodass Obst und Gemüse auf dem löchrigen Asphalt zerplatzen oder den Entwaffneten vor die Füße rollen. Er wirkt unzufrieden, nichts Wertvolleres als Rettich, Knoblauch und Tomaten zu finden. Asis befürchtet, dass noch Schlimmeres passieren könnte. Muhammad al-Binti hält immer noch den lächerlichen Dolch in der Hand.
Die Augen der Soldaten oder Freischärler suchen die kleine Gruppe nach Schmuck, Geld oder Uhren ab. Doch der feste Blick der Scheicha bringt den Anführer zur Besinnung, in diesem Fall einmal nicht vom gesegneten Gotteskrieger zum ehrlosen Straßenräuber hinabzusinken. Er gibt seinen Mitkämpfern
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