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Die Laute (German Edition)

Die Laute (German Edition)

Titel: Die Laute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Roes
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ein Zeichen, die vier Männer quetschen sich in das Fahrerhaus, Wagen und Schafe setzen sich in Bewegung.
    Nach wenigen Metern bremst der kleine Pritschenwagen abrupt und setzt zurück. Der Dünnbärtige springt mit vorgehaltener Pistole heraus, packt Asis, stößt ihn zu den anderen auf die überfüllte Sitzbank, schafft sich mit groben Püffen Platz am Steuer und gibt Gas.

58
    Asis sitzt eingequetscht zwischen seinen Entführern und ist kaum in der Lage zu atmen.
    Nach einigen Kilometern biegt der Viehwagen von der Asphaltstraße auf einen Schotterweg ab. Nicht weit von der Straße entfernt steht, versteckt in einer Bodensenke, ein Pick-up japanischer Bauart, mit dem die Gangster offenbar hergekommen sind. Einer der Bartträger steigt aus und setzt sich ans Steuer des Pick-ups. Endlich gibt es genug Platz im Führerhaus, und Asis kann die Arme seiner Mitfahrer energisch von seinen Schultern wischen.
    Der Pick-up fährt voraus, der Viehwagen folgt. Asis prägt sich jede Auffälligkeit des Geländes ein. Wenn ein Gehörloser über einen herausragenden Sinn verfügt, dann ist es das Auge. Es ersetzt nicht nur das Gehör, sondern auch den verlorenen Raum- und Orientierungssinn. Vielleicht ist auch ein weiteres Organ aktiviert wie bei den Beduinen, denkt Asis, ein innerer Kompass und ein absolutes topografisches Gedächtnis.
    Die Männer schweigen während der ganzen Fahrt und belästigen ihn auch nicht weiter. Nur der Mann am Steuer, der Dünnbärtige, wirft ihm hin und wieder einen kurzen undeutbaren Blick von der Seite zu.
    Ungefähr zwei Stunden dauert die Fahrt über die Piste Richtung Südosten, also um die vierzig Kilometer weit in ein Niemandsland aus Radspuren und gelegentlichen Abfällen, aber ohne ein Haus, geschweige denn ein Dorf.
    Und der verfallene Ort, den sie jetzt erreichen, war in grauer Vorzeit vielleicht einmal ein Dorf. Aber nun ist er nur noch eine Ansammlung von Ruinen und Trümmern. Kein Kind spielt auf den Wegen, nicht einmal Hunde streunen umher. Und parkten dort nicht zwei weitere Pick-ups, würde Asis den Ort für ganz und gar verlassen halten.
    Sie bringen Asis in eines der Häuser, das immerhin noch über eine von außen verschließbare Tür verfügt. Der Innenraum ist entmutigend, roher Stein, Stroh und Kot auf dem Lehmboden, kein Fenster, nur ein großes Loch in der etwa drei Meter hohen Decke. Vermutlich hat dieser Raum in der letzten Phase seiner Nutzung vor dem endgültigen Verfall nur noch als Tierstall gedient, wobei Asis sich nicht sicher ist, dass es sich bei den unterschiedlichen Kotsorten allein um tierische Notdurft handelt.
    Es ist fast Mittag. Er hat Hunger und Durst, will aber niemanden herbeirufen. Er spürt Schritte vor dem Haus. Sicher gibt es weitere Männer hier. Aber je mehr er sieht und je mehr ihn sehen, umso unwahrscheinlicher wird es, dass sie ihn einfach wieder freilassen.
    Die Tür ist einfach aufzubrechen, denkt er. Aber es wird Lärm machen. Zu Fuß wird er nicht weit kommen. Also muss er mit einem Wagen fliehen. Am besten mit dem kleinen Lastwagen aus Am Hadidah. Mit ihm kennt er sich aus. Doch die Pick-ups sind schneller. Sie hätten ihn bald eingeholt. Es sei denn, sie wären plötzlich fahruntüchtig. Doch im Augenblick kann er ohnehin nichts tun. Er muss die Nacht abwarten.
    Er begutachtet das Loch in der Decke. Es gibt ein weiteres Stockwerk, aber dessen Dach ist vollständig zusammengebrochen. Er muss aufpassen, dass nicht auch der Rest dieser Stalldecke auf ihn herabstürzt.
    Außer dem verstreuten Stroh befindet sich nichts in diesem Raum. Zu zweit hätte sich einer auf die Schultern des anderen stellen und das Loch in der Decke erreichen können. Aber alleine wird es ihm nicht gelingen, dort hinaufzukommen.
    Er wendet sich der Tür zu. Verwittertes Holz, rostige Scharniere. Er kann durch die Bretterspalten hinaussehen. Der Lieferwagen steht mitten in der Sonne, die Schafe befinden sich noch auf der Ladefläche. Sie sind voller Unruhe. Aber von dort können sie wenigstens nicht entlaufen. Und in dem womöglich einzigen abschließbaren Raum des Ortes ist bereits Asis eingesperrt.
    Ansonsten kann er niemanden entdecken. Die Tür ist mit einem gewöhnlichen, aber stabilen Holzkeil verriegelt. Einfacher scheint es ihm, die innenliegenden Scharniere auszuhebeln. Sie sind nicht sehr tief in die bröckelnden Fugen zwischen dem Bruchstein getrieben. Er durchwühlt das Stroh auf der Suche nach einem Gegenstand, den er als Hebel verwenden kann. Er findet eine

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