Die Laute (German Edition)
Halluzination und nicht wie ein wirkliches Erlebnis.
Prüfe ich ernsthaft, was vom Kind Asis noch in diesem Mann weiterlebt, finde ich nichts. Dem Körper sieht man bereits an, dass er sich schon lange nicht mehr für Sport interessiert, die Aufmerksamkeit hat sich nach Innen verlagert, die Freude an einem so oberflächlichen Vergnügen ist mir nun vollkommen fremd. Wie konnte ein Ballspiel einmal meine Tage ausfüllen? Wie konnte das mein Zukunftstraum sein?
Ich spüre Cześkas trockene Haut an meiner Haut. Wenn sie sich Filme ansieht, herrscht eine Art Waffenruhe zwischen uns. So, geistesabwesend, ist sie mir am nächsten.
Ich schreibe, dass ich mich nun für den Wettbewerb fertig machen müsse. Sie nickt, nimmt die DVD aus dem Rechner, steht auf, geht nicht ins Bad, schaut nicht in den Spiegel oder auch nur auf die Uhr, zieht sich rasch an, ohne mich noch einmal anzublicken und geht, grußlos, wie sie hergekommen ist, ein Alien, eine Frau von einem anderen Stern.
Im Berrecci-Saal stehen etwa achtzig Stühle für die Zuhörer, die fünf Finalisten, ihre Angehörigen, die Juroren, Musikprofessoren und Studenten, einige wenige Pressevertreter, einige, sicher nicht alle Stiftungsmitglieder und, ganz in schwarz gekleidet, die letzten Anhänger der Avantgarde. Die Hälfte der Stühle ist unbesetzt.
Vor den Stuhlreihen steht ein Konzertflügel. Die meisten Jungkomponisten spielen ihre Klavierauszüge selbst. Es gibt keine Bühne, kein Podium in diesem Festsaal. Schon von der zweiten Reihe aus sieht man den Pianisten, wenn er vor dem Flügel sitzt, nicht mehr.
Ich brauche nur eine Steckdose. Und die Lautsprecher natürlich, die in diesem alten Renaissancesaal auf anregende Weise unpassend wirken.
Ich habe bei Adam Twardowski auch ein wenig Klavierspielen gelernt, vielleicht nicht so gut wie andere, die von Kindesbeinen an mit diesem Instrument vertraut sind, auch haben meine Finger nach jenem Ereignis nie wieder ihre ursprüngliche Beweglichkeit zurückgewonnen, aber für meine eigenen Kompositionen hätte es gereicht.
Doch von dem, was ich hier heute vorstellen soll, lässt sich kein Klavierauszug herstellen. Es sind neue, künstliche, ›unerhörte‹ Klänge. Erst die digitale Technik erlaubt es, ihnen nachzuspüren.
Es ist ein schöner Saal für kammermusikalische Aufführungen, Eichenparkett, eine fünfhundert Jahre alte Holzdecke, zitadellendicke Ziegelsteinwände, zwei große Wandteppiche an der Stirn- und Nackenseite. Ich spüre sehr differenzierte Vibrationen, ohne die übliche Dominanz der Bässe, in den Fußsohlen. Noch hat der Wettbewerb nicht begonnen. Schritte, harte Halbschuhsohlen, hohe Absätze, Stuhlbeinscharren, schwere, gepolsterte Nussbaumstühle mit hohen, unbequemen Rückenlehnen, die das Publikum zwingen, aufrecht zu sitzen.
Die Villa wurde vor fünf Jahrhunderten vom italienischen Baumeister Bartolomeo Berecci entworfen, der auch die Zygmunt-Kapelle auf dem Wawel gebaut hat. Hierher lud die Fürstin Marcelina Czartoryska die Krakauer Bohème in ihren Sonntagnachmittagssalon. – Ich bin zum ersten Mal hier. Schon das Viertel und der Park liegen so weit westlich von der Altstadt entfernt wie Nowa Huta im Osten. Wola Justowska und Nowa Huta bilden nicht nur geographisch entgegengesetzte Pole. Ich gehöre hier nicht her.
Ich sitze ganz am Rand, mit freiem Blick auf die offene Klaviatur. Neben mir eine Dame mit einem dezenten und zweifellos teuren Parfum, das mir schon nach wenigen Minuten Kopfschmerzen verursacht. Die sechs Kristallleuchter strahlen ein zu warmes, zu behagliches Licht aus, zumindest für Gegenwartsmusik. Mein Opernauszug müsste eigentlich unter sengender südlicher Sonne aufgeführt werden.
Auch meine vier Rivalen sitzen in dieser für uns reservierten Reihe, alle älter als ich, in unauffälligen Jacketts über schwarzen Rollkragenpullovern. Ich fühle mich in meinem von Adam geliehenen Anzug und dem weißen Hemd vollkommen fehl am Platz und bin froh, dass nach einigen, offenbar launischen Begrüßungsworten, denn das Parkett bebt vor Gelächter, endlich das Wettbewerbsprogramm beginnt.
Ich sehe sehr genau, was meine Mitstreiter spielen, höre mit den Augen, ihre atonalen Cluster, ihre postseriellen Dissonanzen, ein ständiges Bemühen, die Begrenzungen des Instruments zu sprengen, ohne die Sprengung am Ende zu wagen. Auch mir täte es leid um den schönen Blüthner. Also verfolge ich ihre Versuche mit Nachsicht.
Sie kommen mir wie Übersetzungsversuche vor.
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