Die Laute (German Edition)
schlanken Hände im Schoß, dann beginnt er. Seine linke Hand spielt fast ausschließlich und repetitiv die schwarzen Tasten, seine rechte die hohen weißen, Yin und Yang, vielleicht auch Scylla und Charybdis, Castor und Pollux oder Pat Garrett und Billy the Kid oder mein obskures Hauswartsbrüderpaar. Ich muss seine Musik nicht hören, um zu wissen, dass sie das Publikum betört, ein bezwingender, synkopenreicher Rhythmus, Ragtime, Bebop, darüber ein Perlen von hellen Akkorden. Bösartige Neider wie ich könnten sie gefällig nennen.
Doch meine Kritik ist unfair. Die Musik ist ihm so wenig geschenkt worden wie mir, er hat sie sich erarbeiten müssen. Und für sein blendendes Aussehen kann er nichts. Ja, seine Komposition schwankt zwischen gegenwärtiger Atonalität und schamlosen spätromantischen Anleihen bei Strauss und Schreker. Doch die Rhythmen und musikalischen Ideen sind überraschend und unberechenbar, erratische Klanggegensätze treffen aufeinander. Das, was ich sehe, hat zweifellos Charme.
Das Katasteramt ist alarmiert
nennt er sein Stück. Who’s afraid of 21st Century Music? Werde morgen mal im Internet recherchieren, was ein Katasteramt ist. Ich glaube nicht, dass etwas Vergleichbares im Jemen existiert.
Kaum hat er den Fuß vom Pedal genommen, steht er schon auf, verbeugt sich erneut, knapp, ernst, ohne jede Eitelkeit. Offenbar kann man ihm seine guten Eigenschaften so wenig nehmen wie ein Freskogemälde der Decke oder Wand. Man kann sie nur zerstören. – Ich spüre den lang anhaltenden und herzlichen Beifall.
Endlich bin ich an der Reihe, ich trete vor, ohne jemanden anzublicken, verbeuge mich steif und ungelenk, schäme mich des schlechtsitzenden Anzugs, beginne zu schwitzen und werde plötzlich wütend. Wütend vor allem auf mich selbst, der sich von einer schmeichelhaften Einladung zu dieser Farce hat verführen lassen. Ich schließe den Flügel, stelle meinen Laptop darauf und drücke die Return-Taste. Ich weiß, mehr noch als die Musik bewundert das Publikum die Virtuosität des Solisten. Sie werden enttäuscht sein.
Anstatt ihre Augen zu senken und sich den Klängen aus den Lautsprechern hinzugeben, starren sie mich an, den untätigen Mann auf dem Konzertpodium vor ihnen, der von sich behauptet, ebenfalls ein Komponist zu sein. Ich sehe die Skepsis in ihren Blicken. Sie hören nicht auf die Musik, sehen nur meine wenigen Befehlsgesten. Der Junge macht es sich aber verdammt einfach!, lese ich in ihren Augen. Dann beginnt das Blättern im Programmheft, ah, Jemenit, gibt es überhaupt ein einziges Klavier im Jemen?, und sie haben recht, ich wüsste keins, zumindest nicht in Ibb oder Aden, und taub ist er, deshalb hält man sich doch nicht gleich für einen Beethoven!, verstehst du irgendetwas von diesen merkwürdigen Geräuschen, rücksichtsloses Programmheftrascheln, unverhohlenes Zischeln und Flüstern, erste lautere Proteste, ist das überhaupt
Musik
?
Die Gesichter der Juroren bleiben ausdruckslos. Einer von ihnen hat mich zur Endauswahl eingeladen. Er gibt sich nicht zu erkennen. Bereut er es schon? Keiner von ihnen ist unter fünfzig, aber alle tragen das Haar jugendlich lang. Ein schon Grauhaariger hat seine lockige Mähne zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
Auch in der Jury keine einzige Frau. Doch makellose, feminine Gesichter. Zwei Musikprofessoren, zwei Pianisten, ein Dirigent. Dieselben unauffälligen, perfekt sitzenden Jacketts mit den dezenten schwarzen Rollkragenpullovern darunter wie bei den vier der fünf Kompositionseleven.
Kaum fünf Meter von mir entfernt sitzt nun Rafał Singer, der einzige mit einem wohlwollenden, ja anerkennenden Blick. Er nickt mir ermutigend zu, obwohl wir doch Rivalen sind. Vielleicht war ja seine Mutter an diesem Abend eine Art versöhnliches Bindeglied zwischen uns. Und in diesem Augenblick beginne ich, ihn und seine stolze Mutter und diesen ganzen Wettbewerb zu hassen.
Von Anfang an hat mich die Einladung misstrauisch gestimmt: »Ihre Marsyas-Ouvertüre hat die Jury des Witold Lutosławski-Wettbewerbs für junge Komponisten überzeugt. Deshalb lädt der Stiftungsrat Sie zur öffentlichen Endausscheidung in die Willa Decjusza, Krakau, ein.« – Dreißigtausend Złoty und die Uraufführung des Werks in der Krakauer Philharmonie, dafür lässt man sich kaufen! Ein Jahr ohne Geldsorgen, ohne Zweifel an dem Wert dessen, für das man sich viele Jahre abgemüht hat, und ohne Neid auf die, welche mit weniger Mühe bisher erfolgreicher
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