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Die Laute (German Edition)

Die Laute (German Edition)

Titel: Die Laute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Roes
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eine Gelegenheit ergibt, ungeschoren davonzukommen, Computernerd, Hacker, Informatikfreak. Doch wie kann ich ihn nach meiner Kriegserklärung noch um diesen Gefallen bitten?
    Es geht nicht um die Furcht, nun auch noch den letzten Rest an Stolz und Würde zu verlieren, die Ehre des Stammeskriegers habe ich mit allem anderen in meiner Heimat zurückgelassen, nein, das Problem besteht vor allem darin, dass ich keine Ahnung habe, wie man jemanden um etwas bittet, jemanden, dem man selbst jede auch noch so geringfügige Bitte abschlagen würde; wie man um Hilfe bittet und sie auch gewährt bekommt, selbst wenn man sie nicht verdient hat. Und am unerträglichsten ist der Gedanke, wie die Großzügigkeit des anderen mich ihm verpflichtet!
    Nun sitze ich schon eine Stunde hier und schreibe das alles auf, weil es mich sonst krank macht und ich der nächste sein werde, der abstürzt. Ich spüre Bogdans absichtsvolle Stille über mir. Ich sollte zu ihm hochgehen, ehe die schöne Elena nach Hause kommt. Dann hätte ich es mit zwei Todfeinden zu tun. Und Elena Towarzystwa verachtet mich wenigstens genauso sehr, wie ich sie verachte. Für sie bin ich nichts anderes als ein kleiner dreckiger Araber, der hier in Polen nichts zu suchen hat und besser verschwinden sollte, ehe es für die Reue, überhaupt hergekommen zu sein, zu spät ist. Man muss nicht hören können, um die Verachtung, die bei jeder Begegnung im Treppenhaus aus ihren blauen Augen blitzt, zu verstehen. Manchmal möchte ich schon allein deswegen über sie herfallen, weil es genau das ist, was sie mir unterstellt: Ich sei nur hier, um anständige polnische Mädchen zu belästigen.
    Ich bewaffne mich mit Stift und Notizblock und gehe diesen Canossagang, für den es, soviel ich weiß, in der Geschichte der Arabischen Völker keine Entsprechung gibt. Bis zu diesem geschichtsträchtigen Augenblick!
    Ich läute, spüre die Vibration eines äußerst hässlichen Schnarrens in meinen Fingerspitzen. Bogdan Wolski öffnet. Im Gegensatz zu seiner Freundin begegnen wir uns eher selten im Treppenhaus, weil er seine Wohnung so gut wie nie verlässt. Er trägt Shorts und ein fleckiges Spiderman-T-Shirt. Sein Gesicht ist so blass wie die fast unbehaarten Beine. Seine Fußnägel müssten einmal wieder geschnitten werden. Langsam wandert mein Blick von seinen nackten Füßen wieder hinauf und hält kurz unter den blassblauen Augen, etwa auf Höhe der entzündeten unteren Lidränder inne. Ich halte ihm meinen Zettel hin und hoffe, dass ich die Fälle richtig gesetzt habe. Aber die meisten Polen haben ja kaum weniger Schwierigkeiten mit der Deklination wie ich.
    Er nickt. Sein wächsernes Gesicht zeigt weder Begeisterung noch Unmut. Er schlüpft in ein Paar ausgetretener Flipflops, deren schlappender Trittschall mir aus vielen langen Nächten vertraut ist, aber jetzt scheint mir kaum der richtige Zeitpunkt, nach dem Verbleib meines Geschenks, zwei Paar warmer flauschiger und nicht eben billiger Filzpantoffel zu fragen.
    Er zieht sich sonst nichts weiter über und folgt mir schlappend in meine Wohnung. Es ist das erste Mal, dass ein Nachbar sie betritt.
    Die Besonderheiten meiner Einrichtung interessieren ihn nicht. Und ich bin ihm dankbar dafür. Er setzt sich gleich an den Computer, und seine Art, ihn zu berühren, gleicht einem blinden Masseur, der seine Hand auf den Rücken des Patienten legt und mit dieser einen Berührung die ganze Krankengeschichte liest.
    Er nimmt eine Büroklammer, biegt sie auseinander und sticht damit in ein kleines unauffälliges Loch neben der CD -Lade, offenbar eine Art Kaltstarter. Und tatsächlich flammt der Bildschirm auf, und ein kreiselndes Ziffernblatt zeigt an, dass es in meinem Rechner arbeitet. Nur keine Neuinstallation, bitte! Ich wüsste nicht, ob ich auch nur einen einzigen Takt der bisherigen Partitur rekonstruieren könnte.
    Ich frage Bogdan, ob er einen Tee wolle. Bogdan schüttelt den Kopf. Sein langes fettiges Haar und seine Blässe lassen mich an einen Vampir denken. Er könnte so alt sein wie ich, aber auch vor fünfhundertzweiundsiebzig Jahren im Alter von Siebenundzwanzig gebissen und zur ewigen Alterslosigkeit verdammt worden sein.
    Ich stehe hinter ihm und sehe zu, was er tut. Er tippt seine Befehle so schnell ein, dass ich ihnen nicht folgen kann und beim nächsten Absturz wieder genauso hilflos dastehen werde. Er erklärt nichts von dem, was er da macht. Aber vielleicht wäre das auch zuviel verlangt. Vermutlich weiß er, wie ein

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