Die Laute (German Edition)
nicht sein muss. Alles schwitzt eine große Trägheit und noch größere Wut aus.
Said hatte bisher ein Zimmer für sich. Er ist ungefähr in Asis’ Alter. Es ist nicht das größte Zimmer im Haus, aber hell, wenn auch drückend warm. Said ist sicher nicht begeistert von seinem neuen Mitbewohner.
Asis stellt Tante Raufas sorgsam gepflegten Kunstlederkoffer aufrecht vor das Bett, das Said ihm zugewiesen hat, ein kleiner Sperrwall, ein hilfloser Versuch der Abgrenzung.
Es gibt nur zwei Laken auf dem Bett, eines ist über die Matratze gespannt, das andere liegt zusammengefaltet am Fußende. Selbst in der Nacht kühlt es offenbar nicht merklich ab.
Neben dem Laken liegt ein sauber gefaltetes Handtuch. Vom vielen Waschen ist es grau und an den Säumen ausgefranst. Asis nimmt das Handtuch, das ihm seine Mutter eingepackt hat, aus dem Koffer und stellt ihn dann wieder aufrecht hin.
Das Bett hat Sprungfedern statt eines Lattenrosts. Wahrscheinlich macht jede Bewegung ein knarrendes oder quietschendes Geräusch. Es könnte Asis egal sei, er hört es ja nicht. Aber er will auch nicht gehört werden. – Er legt sich auf die Matratze. Die Berührung seiner nackten Füße mit dem frischen Laken erschreckt ihn. Er fühlt sich plötzlich schmutzig. Nutzlos. Eine Last für die anderen. Sofort setzt er sich wieder auf.
Was macht er hier, ein Fremder in Aden, Gast in einer unbekannten Familie? Er sollte sein Handtuch einpacken und gleich wieder gehen.
Er fühlt Hoffnungslosigkeit in sich aufsteigen. Sehnt sich danach, mit jemandem zu sprechen. Aber mit wem? Und mit welchen Worten?
Die Spätnachmittagssonne fällt auf ihn. Er nimmt sie nicht wahr. Ahnt nicht einmal, wie anziehend, wie leuchtend und für alle lesbar sein Gesicht aussieht.
Während Asis sich in seiner Ecke einzurichten versucht und sich doch nur weit fort wünscht, selbst ein Ziegenstall wäre ihm lieber, hätte er ihn nur für sich alleine, als dieses schöne Zimmer, in dem er sich wie ein Eindringling vorkommt, scheint Said ganz in sein Computerspiel versunken. Said braucht keinen Gefährten! Und einen tauben schon gar nicht!
Asis mustert Said ohne besondere Neugier. Ein Stubenhocker, denkt er. Jemand, der sich hinter seinem Computer vergräbt, weil er bei der Zusammenstellung der Fußballmannschaften immer als letzter gewählt wird. Nicht, weil er besonders unsportlich wäre, sondern vor allem deshalb, weil er sich im Grunde nicht für das Spiel interessiert und nicht mit derselben unbedingten Leidenschaft für den Sieg seiner Mannschaft kämpft wie seine Kameraden. Er lässt den Ball einfach laufen, anstatt ihm hinterherzuhechten, auch wenn es aussichtslos scheint. Mit seiner Lustlosigkeit macht er aus einem Kampf, in dem es um alles geht, einen banalen Zeitvertreib. Asis kennt diesen Typ abgeklärter Mitspieler nur zu gut!
Er sieht sich selbst auf dem Spielfeld, das Haar staubgrau und verschwitzt, das T-Shirt abgelegt, nicht besonders muskulös, aber zäh, sehnig, schnell, und für einen Sieg seiner Mannschaft zu jedem Zweikampf bereit. Aufgeschürfte Knie, Blutergüsse und verstauchte Gelenke waren eher die Regel als die Ausnahme.
Saids Haare sind glatt und fallen über seine Stirn bis in die blassbraunen Augen. Seine Haut ist hell, wahrscheinlich weil er sich so selten wie möglich im Freien bewegt. Er hat sehr große, abstehende Ohren. Normalerweise wäre es Asis egal, aber in diesem Fall sieht er es als eine Bosheit des Schicksals an, ihn mit einem Zimmergenossen zusammenzusperren, der in einem Übermaß mit jenem gesegnet ist, an dem es ihm mangelt.
Said ist barfuß. Auch seine Füße sind riesengroß, zumindest für einen Jemeniten. Er wird sicher Mühe haben, hier in Aden passende Schuhe zu finden. Asis’ Vater könnte ihm die richtigen anfertigen. Said hält, während er ganz in sein Spiel versunken ist, ständig einen Fuß vom anderen verdeckt und macht so erst recht auf die absonderliche Größe aufmerksam.
Asis versteht nicht, wie der Bruder von Dr. Fuad al-Halawi ihn, einen vollkommen Fremden, einfach in sein Haus aufnehmen kann. Wie viel Streit gab es bereits mit seinem Onkel, in dessen großem Haus sie zwei kleine Zimmer bewohnen. Dabei gehören sie doch zur Familie! Einem Fremden, mag er auch noch so bedürftig sein, hätte Onkel Ruschd niemals seine Tür geöffnet.
Nicht einmal Freunde hat Asis mit nach Hause gebracht. Nicht, weil er es nicht gedurft hätte, sondern einfach deshalb, weil er sich für seine Eltern geschämt hat. Und
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