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Die Laute (German Edition)

Die Laute (German Edition)

Titel: Die Laute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Roes
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das aus keinem anderen Grund, als dass es seine Eltern sind und er, zumindest seit einigen Jahren, dieses ganze nichtssagende und offenbar einem Irrtum entsprungene Verhältnis zu ihnen nicht mehr versteht. Und er schämt sich für dieses Gefühl der Scham.
    Nicht nur hat in all den Jahren seiner Kindheit, die er mit Hamid befreundet war, Hamid nie ihr Haus betreten, ebenso hat auch er, Asis, sich von Hamids Haus fernzuhalten versucht, bis auf die verhängnisvollen letzten Monate. Hamid schien es mit seinen Eltern genauso zu gehen wie Asis, obwohl sein Vater doch reich ist und eines der größten und schönsten Häuser Ibbs besitzt.
    Plötzlich steht Said vor ihm, mit einem beschriebenen Zettel in der Hand. Asis liest: »Du kannst alles in diesem Zimmer benutzen, ohne zu fragen, von mir aus kannst du sogar meine Lieblings-T-Shirts tragen. Aber von meinem Rechner lässt du bitte die Finger, sonst hack ich sie dir ab!«
    Dann ergreift Said seine Hand, als seien sie die besten Freunde, und führt ihn durch das Haus. Selbst seine Mutter stellt er ihm vor. Sie reicht ihm die Hand – was eine Frau in Ibb einem fremden Mann gegenüber niemals tun würde – aber nicht in schamloser Weise, sondern so, als gehöre er schon lange zur Familie. Sie ist unverschleiert, und Asis wagt kaum, ihr ins Gesicht zu schauen. Aber er hat bereits gesehen, dass sie trotz ihres fortgeschrittenen Alters eine sehr schöne Frau ist. Und auch für diesen Eindruck schämt er sich.

20
    Asis wagt sich kaum zu rühren. Er liegt auf dem Rücken, die Hände im Nacken verschränkt. Er wartet, dass Said den Rechner ausstellt. Aber auch dann wird es nicht vollständig dunkel im Zimmer sein. An der Decke entdeckt er ein Lichtmuster, das von den Straßenlaternen durch die geschnitzten Holzläden geworfen wird. Und hin und wieder gleiten die Lichtkegel von Autoscheinwerfern durch das Zimmer, an einer Wand hinauf, die Decke entlang, an der anderen wieder hinunter. Dann glaubt Asis, für diesen Moment der Bewegung auch das Motorengeräusch zu hören.
    Er schließt die Augen und versucht, nicht auf Saids Computerspiel zu achten, obwohl er die Vibration der Bässe aus den Lautsprecherboxen spürt. Offenbar wird in Saids Welt ununterbrochen scharf geschossen, und ständig fliegt etwas in die Luft.
    Es ist eigenartig, dass er erst jetzt zum ersten Mal das ganze Ausmaß seines Alleinseins spürt, nicht im Krankenhaus, nicht in der väterlichen Wohnung, sondern hier, mit diesem fremden Jungen in diesem fremden Haus in Aden. Dabei ist es niemand besonderes, der ihm fehlt, nicht seine Eltern, die ihm auf ihre Art schon vor dem Blitzschlag fremd geworden sind, nicht seine ehemaligen Freunde und Klassenkameraden, und schon gar nicht der verrückte Bilal.
    Vielleicht ist es einfach ein diffuses Heimweh nach Ibb, nach einem alten Leben mit seinen schlichten Träumen nach Erfolg und Ruhm als Fußballspieler. Wie kompliziert sein Leben nun geworden ist! Und ganz und gar frei von jeder Vorstellung, wie seine neue Zukunft einmal aussehen könnte, ja ob es sie für ihn überhaupt noch gibt: eine Zukunft.
    Er ist allein und vollkommen auf sich gestellt, weiß er, trotz Said und seiner um sich ballernden Gegner, es ist absolut dunkel, trotz des grell flackernden Computerbildschirms, niemand ist da!
    Niemand, der missmutig auf seinen Atem lauscht und wünschte, er wäre nie aufgetaucht oder würde jetzt wenigstens schlafen und eine Weile aus der Gegenwart verschwinden.
    Anstatt vom Schlaf nun endlich in die ersehnte Bewusstlosigkeit entführt zu werden, übermannt ihn eine geradezu schmerzhafte Erektion. Er kann sich nicht erinnern, dass ihm seit seinem Erwachen im Krankenhaus dergleichen passiert ist. Sie ist mit keinerlei Phantasien verbunden. Seit er durch Dr. Fuad von der bevorstehenden Hochzeit weiß, hat er nicht mehr an sie gedacht. Und auch jetzt taucht ihr Bild nur als ein flüchtiger Schatten auf, der einmal die Wand hinauf, die Decke entlang und an der anderen Wand wieder hinunterläuft.
    Da er fürchtet, Said könnte trotz allen Spieleifers die Erhebung unter dem Laken entdecken und diesen vollkommen unwillkürlichen Vorgang missverstehen, klemmt er sein steifes Glied zwischen die Schenkel. Aber das macht die Sache noch schlimmer. Es kommt ihm vor, als gehöre dieser Körperteil nicht ihm, sondern habe sich auf absurde Weise selbständig gemacht. Er, Asis, wird nie wieder lieben, ganz gleich, was sein aufsässiges Glied davon hält.
    Er ärgert sich über die

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